Fünf Taxi-Experten aus dem russischen Nowosibirsk waren vergangene Woche durch Deutschland gereist, um sich mit diversen Gesprächspartnern über das deutsche Taxigewerbe zu informieren. Der Informationsaustausch war für beide Seiten sehr aufschlussreich.
Tag 1 begann in Berlin, wo man zunächst das Taxizentrum Berlin besuchte, in dem mit Taxi Berlin auch eine der größten europäischen Taxizentralen und mit taxi.eu die größte echte Taxi-App beheimatet ist. Gesprächsinhalte während des Rundgangs durch Kundencenter, Callcenter und Taxi-Museum waren unter anderem App-Vermittlung und digitale Zahlungsarten in Mitteleuropa im Vergleich zu Russland, die Arbeitsweise, Bestellmöglichkeiten und Tarife des Taxigewerbes in Russland, außerdem verkehrspolitische Themen wie Ridesharing. Auch für Anekdoten über öffentlichen Verkehr in Russland einschließlich kurioser Platzkartenregelungen in Liegewagen russischer Fernzüge bot die entspannte Gesprächsatmosphäre Raum.
Als Begleiter auf der gesamten Reise fungierte Wim Faber, der als internationaler Taxi-Journalist auch für Taxi Times schreibt. Er hatte gemeinsam mit dem Münchner Taxiunternehmer Gregor Beiner und Svetlana Verbitskaya von ‘Business Tourism’ den Trip organisiert. Die Gruppe bestand aus drei Personen des Öffentlichen Rates (‘Public Council’), darunter die Geschäftsführerin Irina Zaripova, eine führende Persönlichkeit in der russischen Taxi-Welt.
Der ‘Public Council’ ist für die Entwicklung des Taxigeschäfts in Russland zuständig und somit die einzige Organisation im Land, die Taxiunternehmer und Taxifahrer zusammenbringen und ihre Situation verbessern möchte. Als quasi staatlich legitimierte Gewerbevertretung war es daher naheliegend, auch die deutsche Gewerbevertretung zu treffen.
Der Besuch in den Geschäftsräumen des Bundesverbands Taxi und Mietwagen (BTM) in Berlin war dann für beide Seiten sehr informativ. Es gab einen äußerst lebhaften anglo-deutsch-russischen Informationsaustausch. Michael Oppermann, Geschäftsführer des BTM, verwies auf der Grundlage von vier Welttrends (Urbanisierung, Technologiewandel, Elektrifizierung, Globalisierung) auf rasche Veränderungen im Taxisektor und berichtete von den Demonstrationen, die überall in Deutschland gegen ‘Scheuer’s Eckpunkte’ im vergangenen Jahr – und auch noch jetzt – liefen.
Er erklärte den Unterschied zwischen Taxi und Mietwagen. Letzteres gibt es in Russland nicht – nur illegal. Die russische Gruppe fand es bemerkenswert, dass das Taxi in Deutschland einen festen Tarif und eine Beförderungspflicht hat und rund um die Uhr verfügbar sein sollte (Betriebspflicht). Der öffentliche Rat möchte einige dieser „Taxi-Elemente“ in das russische Recht aufnehmen.
Die Berliner Besuche waren ebenso wie die Stippvisite vier Tage später in München (siehe unten) als Rahmenprogramm rund um den Besuch der UITP-Taxi-Konferenz in Karlsruhe organisiert. Da die Konferenz allerdings wegen Corona abgesagt werden musste, besuchte die Delegation stattdessen den Familienbetrieb Holl AG in Gaggenau nahe Karlsruhe. Dirk Holl gab dabei einen kurzen Überblick über seine Rolle als innovativer Personenbeförderer. Hier lernten die Russen mehr als auf einer Taxikonferenz, vor allem, weil Antonia Bogdanov, Dirk Holls „rechte Hand“, alle Aspekte der Buchhaltung, Routenplanung und -ausführung, der Transportarten und der Herausforderungen für das Unternehmen in einwandfreiem Russisch skizzieren konnte. Holl (130 Mitarbeiter) verfügt über einen Mix an PKW (40, davon 6 elektrisch und 20 Hybrid), Minibussen (6) und neun Rollstuhlfahrzeugen und bietet – durch eine kollegiale Zusammenarbeit mit einem Busunternehmer – auch Busse an.
Die sechsköpfige Gruppe wurde mit einem Londoner LEVC-E-Taxi abgeholt – eine besondere Einführung. Null Emission hat einen wichtigen Platz im Unternehmen Holl. Ebenso wie die Rollstuhlbeförderung, die Fahrer Sammy auf dem Weg in Ettlingen (wo Holl ‘My Shuttle’ fährt) den Ladevorgang und den Platz für Menschen mit Mobilitätsbehinderungen (ob im Rollstuhl oder nicht) im geräumigen Taxi demonstrierte. Die Idee des Inklusionstaxis nahm die Delegation begeistert auf, denn da liege in Russland doch einiges im Argen.
Dirk Holl, flankiert von Edeltraud Holl, der Gründerin des Familienunternehmens, erklärte, wie man sich von einem Taxi- und Mietwagenunternehmen zu einem breiten Personenverkehrsunternehmen entwickelte. Holl fährt nicht nur Taxis und Mietwagen, sondern hat an vielen der neun badischen Standorten des Unternehmens auch ÖPNV-ähnliche Taxisysteme entwickelt (wie das Next-Shuttle Einkaufstaxi in Rastatt, das vom örtlichen Mittelstand finanziert wird). „Das Wichtigste für die Menschen ist, dass sie wissen, wo sie stehen. Wenn sie ihre Fahrt über die App buchen, wollen sie einen festen Preis.“
Kürzlich startete Holl in Karlsruhe einen „Uber-ähnlichen“ Service mit „Inges Mietwagen“ und festen App-Preisen. „Von Punkt zu Punkt ist das die billigste und attraktivste Beförderung für den Kunden“, sagt der Unternehmer. „Sobald andere Dinge wie Umwege hinzugefügt werden, wird es teurer. Ich denke, das ist die Zukunft – besonders die Festpreise!“
Für Irina Zaripova und ihre Begleiter war neben diesen Geschäftskonzepten auch der Einsatz moderner digitaler Technik bemerkenswert, unter anderem ein Kasten für die Fahrzeugschlüssel, der sich nur öffnen lässt, wenn die Angestellten sich mit ihrem Führerschein legitimieren.
Vom beschaulichen Karlsruhe ging es anschließend wieder in eine Millionenstadt. In München traf die Delegation auf den Mitorganisator Gregor Beiner, einen weiteren sehr zukunftsgewandten Taxiunternehmer, der mit über 80 Taxis die größte Taxiflotte der bayerischen Hauptstadt betreibt. Zehn dieser Fahrzeuge fahren rein elektrisch, der Rest mit Hybridantrieb. Geladen wird an betriebseigenen Schnellladesäulen. Welche Co2-Emissionen man dadurch im Vergleich zu dieselbetriebenen Taxis einspart (60 Prozent), erläuterte Beiner anhand einer englischsprachigen Präsentation.
Zur Sprache kam dabei auch das bemerkenswerte Förderprogramm der Stadt München, die den Kauf eines E-Taxis mit bis zu 40 Prozent des Netto-Anschaffungspreises bezuschusst, indem pro besetzt gefahrenen Kilometer 20 Cent erstattet werden. Nicht ohne Stolz wusste Beiner auch zu berichten, dass die ersten Elektrofahrzeuge „I-Pace“, die Jaguar vor zwei Jahren auf die Straße gebracht hat, an ihn ausgeliefert wurden. Die E-Taxiflotte sorgte für viele Rückfragen durch die russische Delegation, die von Svetlana Verbitskaya ins Englische übersetzt wurden und bei denen auch zur Sprache kam, dass sämtliche Fahrer des I-Pace weiße Hemden tragen.
Noch lebhafter wurde der Austausch, als man auf die aktuellen Wettbewerber zu sprechen kam. Was in den deutschen Städten (und mittlerweile auch auf dem Land) Uber und Free Now ist, ist in Russland das Unternehmen Yandex-Taxi, ein rein privates Unternehmen, wie Irina Zaripova klarstellte. Bei der Bekämpfung dieser beiden Wettbewerber würde sie eine Kooperation sehr begrüßen, und sie strebe auch die Zusammenarbeit mit anderen Vereinigungen an. Den Trend der Globalisierung sollte man auch dahingehend nutzen, dass man global möglichst eine Taxi-App anbiete. Zaripova regte hier eine weitere Öffnung der taxi.eu-App an.
Womit sich auch der Kreis der erfahrungsreichen Woche wieder schloss, denn mit dem anschließenden Besuch der Münchner Taxizentrale IsarFunk besuchte die Delegation ein weiteres Mitglied der taxi.eu-Gruppe. Geschäftsführer Christian Hess und Marketingleiter Jürgen Dinter beantworteten die Fragen zur Schulung der Taxifahrer, die vom ebenfalls im gleichen Stockwerk ansässigen Taxiverband durchgeführt wird, und berichteten als Organisatoren des Taxiverkehrs am Münchner Flughafen über das dort geplante E-Taxi-Projekt, bei dem sich E-Taxis vorne einreihen dürfen.
Insgesamt nehmen Zaripova und ihr Team viele Eindrücke und Anregungen mit, doch gibt es auch Dinge, die Deutschland von Russland lernen könnte? Die öffentlichen Ratsmitglieder zeigen bei dieser Frage einen YouTube-Film von der diesjährigen Endausscheidung für Russlands Taxifahrer des Jahres. Um diese Auszeichnung zu gewinnen, müssen die Fahrer einen Zickzack-Parcours mit einem vollen Glas auf dem Dach meistern. Sie müssen aber auch in einem kreativen Teil Gedichte und Poetry-Slams vortragen und kulturelle Fragen beantworten. Hier hofft die Gruppe, diese Veranstaltung durch die Teilnahme von Fahrern von außerhalb Russlands internationaler zu gestalten. Denn das Ziel dieses Events dürfte allen gut tun: Imagepflege für die Taxibranche. wf, sg, jh, ar
Fotos: Taxi Times, Wim Faber, Axel Rühle
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