Beim ESM-On-Demand-Praxisseminar in Fulda erhielt das Taxi als logischer Partner des Linien-ÖPNV viel Aufmerksamkeit. Der private PKW bleibe zwar das beliebteste Verkehrsmittel vor allem im ländlichen Raum, aber ein attraktiver On-Demand-Verkehr mit Taxi und Mietwagen könne und müsse zumindest gegen den Zweit- oder Dritt-Pkw punkten.
Die Eckardt Software Management ESM GmbH aus Hannover hatte unter dem Titel „On-Demand um jeden Preis?“ zu ihrem siebten Praxisseminar Mitte September eingeladen und füllte damit den großen Veranstaltungssaal des Park-Hotels in Fulda mit knapp 100 Teilnehmern. Das Publikum rekrutierte sich vor allem aus Behörden- und Verbandsvertretungen, aber auch aus Unternehmensberatungen, Wissenschaft und – in geringem Maße – auch aus dem Taxigewerbe.
ESM-Chef Frithjof Eckardt vermarktet seine Software AnSaT (Anrufsammeltaxi) schon seit einigen Jahren recht erfolgreich. Seine Software dient vielen aktiven Linienverkehrs- und Rufbus-Anbietern als Basis zur Auftragsdisposition. AnSaT verfügt dabei aus Sicht des Taxigewerbes über den besonderen Charme, Schnittstellen zu vielen Vermittlern aus der Branche wie FMS, Gefos, Talex, Sue und einigen weiteren anzubieten. Auf diesem Wege steht dem Taxigewerbe softwareseitig die Tür zu On-Demand-Angeboten weit offen.
ESM konnte aus seinem bundesweiten Netzwerk rund um das Thema des Bedarfslinienverkehr führende Fachleute für die zwei Veranstaltungstage gewinnen. So entspannen sich über die Nachfragen an die Vortragenden zahlreiche spannende Diskussionen. Gleichzeitig wurde intensiv genetzwerkt.
Im ersten Fachvortrag stellte Dirk Weißer vom VDV (Verband der Verkehrsunternehmen) die aktuellen Bedingungen klar, unter welchen die Gesellschaft sich den Herausforderungen der Verkehrswende zu stellen hat. Der Fachkräftemangel zwingt dazu, Arbeitskraftressourcen zukünftig noch sinnvoller zu nutzen. Damit sei es mehr oder weniger ausgeschlossen, den Linienverkehr mit sehr vielen Leerfahrten für die Zukunft unverändert aufrecht zu erhalten. Parallel stellte er klar, dass die alternativ oft geforderte Technologieoffenheit bei den Antriebstechniken das Problem definitiv nicht lösen könne. Treibstoffe würden in naher Zukunft drastisch teurer werden, deswegen müssten dementgegen definitiv erheblich weniger Fahrzeuge den Verkehrsraum besser nutzen als bisher, wenn wir den Klima- und den Verkehrskollaps noch verhindern wollten. Der Schienenpersonenverkehr müsse trotz seiner Infrastrukturprobleme zukünftig wohl 100 Prozent mehr Fahrgäste befördern als bisher, der Linien-ÖPNV mindestens 30 Prozent.
Auf dieser Ebene gehe gar kein Weg daran vorbei, auch den Gelegenheitsverkehr in den ÖPNV einzubeziehen und gemeinsam mit der Taxi- und Mietwagenbranche Konzepte für einen effizienten On-demand-Verkehr zu entwickeln. Zunächst müsse dafür die Prozessplanung mit der bekannten Arbeitskette Angebotsplanung – Betriebsplanung – Einsatzplanung – Betriebsdurchführung – Fahrgastinformation im öffentlichen Verkehr (ÖV) optimiert werden. Allerdings stünden dafür nur wenig Zeit und noch weniger Fachkräfte zur Verfügung. Einziger Weg sei hier eine gewisse Automatisierung der Vorgänge durch Standardisierung – ein Ansatz, der diametral dem gängigen Ansatz der Taxibrache entgegensteht, welche dagegen stets die lokalen Besonderheiten in den Vordergrund stellt.
Aber auch den Behördenvertretern wurde klar dargelegt, dass für eine genaue Bedarfsevaluierung oftmals gar keine Zeit mehr verfügbar sei. Die Erhebung exakter tageszeitabhängiger Auslastungszahlen und damit eine Besetzgradprognose als Basis für kommende Entscheidungen sei nur mit erheblichem Aufwand zu ermitteln. Noch schwerer sei es, im Zusammenhang mit der Barrierefreiheit der Verkehre beispielsweise den Zustand der Rampen an Bussen in Echtzeit zu ermitteln. Hier dürfe man sich nun nicht mehr verzetteln und müsse nötigenfalls einfach mal Gas geben.
Nach dieser Kopfwäsche für viele der Anwesenden untermauerte Dr. Melanie Herget von der Universität Kassel noch einmal die Problematiken der notwendigen Verkehrswende – besonders für den ländlichen Raum – mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Der Pkw sei einfach die eierlegende Wollmilchsau der Mobilität, mit dem sich der ÖPNV nur schwer messen könne. Wenn man trotzdem versuche, die Ansprüche der Nutzer herunterzubrechen, ergebe sich dabei, dass die Reisezeit vor allem bei längeren Strecken im Nahverkehr letztendlich der alles entscheidende Faktor für die Nutzer sei. Dabei lasse sich klar definieren, dass On-demand-Verkehre in den Ballungsräumen eher zu Schwachlastzeiten und nachts sinnvoll eingesetzt werden könnten, während sie im ländlichen Raum eher die Linien verdichten oder ersetzen müssten. In beiden Fällen sei es jedoch unklug, allein den Wert des Zuschussbedarfs pro Nutzer zu ermitteln, denn mit diesem Maßstab würde der tatsächliche Nutzen dieser Idee oft überfahren.
Herget analysierte den Werdegang vieler On-demand-Projekte der Vergangenheit, wo viele Projekte zu groß und oft mit viel zu hohen Ansprüchen gestartet und so im Ergebnis von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen seien. Parallel kam sie zu dem Ergebnis, dass es immens teuer sei, das Rad immer wieder neu zu erfinden. Hier müssten Synergien bei der Planung angestrebt werden und es müsse den Modellen auch eine gewissen Bewährungszeit eingeräumt werden.
Anschließend kamen die Praktiker zu Wort. Zunächst stellte Stefan Mehler von ESM die Software im Detail vor. Danach berichtete Thorsten Haas von der Verkehrsgesellschaft Main-Tauber mbH aus deren Praxiserfahrungen. Er brachte mit der Formulierung „Erfolg ist, wenn trotz der Verdoppelung der Frequenz eines Angebotes gleichzeitig die Fahrzeug-Auslastung steigt“ die Idee neuer On-demand-Verkehre auf eine – zugegebenermaßen ambitionierte – Zielvorgabe.
Sehr aufmerksam folgten die Teilnehmer dann denn Ausführungen von Kay Tewes, Geschäftsführer von geminiptc in Berlin, der als Unternehmensberater bei der Realisierung neuer On-Demand-Projekte wertvolle Unterstützung anbietet. Seine Expertise hilft während der Planungsphase dabei, die Muss- und die Soll-Kriterien sinnvoll zu sortieren, um so bestenfalls Sammelquoten von 1,2 bis 1,6 pro Fahrt zu erzielen. Obwohl auch er sehr vorsichtig dabei war, möglichen Kosten zu prognostizieren, ließ er sich immerhin einen Wert von 15 bis 60 Euro pro Fahrgast entlocken, je nachdem, wie effektiv vorhandene Verkehre integriert würden. Zum stets sehr emotionalen Thema inklusiver Fahrzeuge konnte Tewes dann die überraschend niedrige Zahl von 1,5 Prozent einbringen, zu der zumindest im städtischen Umfeld von Moia diese Option überhaupt nur genutzt würde. Bunt und elektrisch wäre für den eingesetzten Fuhrpark daher ein Muss, die Ausrüstung zur Beförderung nicht umsetzbarer Rollstuhlbenutzer (als NUR-Fahrzeug) aus seiner Sicht eher ein Kann.
Ähnlich sah dies auch Achim Oberwöhner von der kommunalen Verkehrsgesellschaft Lippe mit der Feststellung, dass on-Demand-Fahrzeuge unbedingt sichtbar sein müssten, wenn sie die Projekte befördern sollen. Im dortigen Verkehr würden stolze Zahlen von 80 bis 130 Besetztkilometern pro Fahrzeug oder 600 Fahrgäste pro Fahrzeug im Monat erreicht. Mit einer Podiumsdiskussion mit Dr. Holger Kloth vom VDV, Taxler und Podcaster Jens Marggraf (Taxi To Go), Kay Tewes und Achim Oberwöhner wurde der erste Veranstaltungstag abgerundet.
Den zweiten Tag eröffnete Frank Möller von der Verkehrsgesellschaft Ludwigslust-Parchim, der ebenfalls ein sehr erfolgreiches Rufbus-Modell für das Flächenland Mecklenburg-Vorpommern vorstellte. Dort könne man seinen Kunden ein theoretisches Streckennetz von 50 Millionen Kilometern offerieren, auch wenn dieses nur zu drei Prozent genutzt werde. Taxiblogger Jens Marggraf aus Melsungen in Hessen steuerte dann die emotionalen Vorteile von On-demand-Verkehren bei. Kunden würden viel lieber individuell befördert, als im seelenlosen Bus zu sitzen. Daher sei dieser persönliche Aspekt ein wichtiges Plus für die Akzeptanz neuer Angebote. Dr. Holger Kloth von der VDV-Landesgruppe Niedersachsen-Bremen und Ingmar Gebhardt von IVU Traffic Technologies steuerten der Diskussion nach diesem emotionalen Vortrag das dröge Knäckebrot trotzdem notwendiger Zahlen bei, bevor Christian Mehlert aus Berlin das gelungene Event mit einem Vortrag über den Ist-Stand der On-demand-Diskussion aus seiner Sicht abschloss, die immerhin fast ein ganzes Berufsleben im On-demand-Verkehrsplanungs-Segment beinhaltet.
Mehlert als echtes On-demand-Urgestein positionierte die Entwicklung auf seinem Hype-Zyklus – höchste Erwartungen, enttäuschende Ergebnisse, mühselige Korrekturen, sinnvolle Ergebnisse – immerhin irgendwo im zweiten Teil. Wenn sich die Nahverkehrssysteme irgendwann auf einem Halbe-Halbe-Level zwischen Linie und On-demand einpendeln würden, dann sähe das nach einem sinnvollem Ergebnis aus, allerdings nur, wenn die On-demand-Anbieter als etablierte Taxi- und Mietwagenunternehmen nur ihre Grenzkosten geltend machten und keine Vollkosten, wie dies zwangsläufig bei aufgesattelten Verkehren der Fall sei. Das ÖPNV-Taxi sei daher unabdingbarer Teil der Verkehrswende, bevor dann in einigen Jahren der Game-Changer des autonomen Fahrens die Karten noch einmal ganz neu mischen wird. Dies sind Perspektiven, welche die Taxi- und Mietwagenbranche eher heute als morgen als mit weiterem Leben fühlen muss. rw
Beitragsbild: Stefan Mehler, Thorsten Haas, Jens Marggraf, Dr. Holger Kloth, Kay Tewes
Fotos: Remmer Witte