Frank zieht sein Taxi hinter einem Lkw auf die Überholspur. Er sieht, wie im Rückspiegel die Lichter immer kleiner werden. Der Scheibenwischer schiebt monoton Ströme von Wasser von einer Seite zur anderen. Nur die zahlreichen Tunnel bieten Abwechslung. Frank hatte Elvir in München aufgelesen und ist nun mit ihm in Richtung Bosnien unterwegs, um dort eine Hochzeit zu verhindern. Die Hochzeit von Elvirs Braut mit einem Anderen.
Sie hatten zwei Grenzübergänge hinter sich gelassen und einen kapitalen Streit um das Rauchverbot im Taxi ausgefochten. Inzwischen waren sie schon in Kroatien und das Wetter mies.
Als Frank merkt, dass die Rücklichter stärker verschwimmen, als es sich durch den Regen alleine erklären lässt, reißt er den Bock in die nächste
Ausfahrt und steuert eine Tankstelle an. Wortlos steigen Frank und Elvir aus dem Taxi und betreten die Raststätte. Elvir geht auf zwei Barhocker zu, die vor einer schlichten Theke stehen.
„Jetzt kriegst Du erst mal einen richtigen Kaffee“, meint er und bestellt etwas in seiner Sprache. Der Wirt bringt zwei dickwandige Tassen mit tiefschwarzem Inhalt.
„Du musst das Ganze noch etwas stehen lassen, sonst hast Du den Mund voller Krümel“, sagt Elvir und zündet sich eine Walter Wolf an. Langsam und genüsslich stößt er den Rauch durch die Nasenlöcher.
Frank spürt, wie der heiße und immer noch etwas krümelige Kaffee seine Lebensgeister weckt.
„Warum machen wir das hier eigentlich? Ich meine, die ganze Tour und so?“
Elvir streift die Asche seiner Zigarette ab. „Hm, wo soll ich da anfangen?“ sagt er und nimmt einen Lungenzug. „Es war noch vor dem Krieg, als ich Dunja kennen lernte. Sie ist Serbin, ich Bosnier, verstehst Du? Und der Krieg machte die Sache nicht leichter.“
Sein Blick schweift nach draußen, wo die Scheinwerfer der Laster das Gemisch aus Nebel, Regen und Gischt durchschneiden. „Wir wollten trotzdem heiraten. Obwohl unsere Familien durchdrehten. Der Tag stand schon fest.“ Er macht eine Pause und fegt imaginäre Krümel von der Theke. „Dann wurde ich zur Armee eingezogen. Dummerweise zur falschen!“, sagt Elvir und grinst dabei.
„Wie, falsche Armee? Gab es auch eine richtige Armee im Glaubenskrieg?“
Da fuhr Elvir ihn an: „Halt Dein Maul, wenn Du von nix Ahnung hast! Glaubenskrieg? So ein Stuss! Das war ein Raubzug. Eine einzige brutale Einkaufsfahrt!“
Ruckartig reißt sich Elvir vom Tresen los und stakst zum Ausgang. Frank lässt sich mit seinem Kaffee noch Zeit. Beim letzten Schluck erwischt er doch den Satz. „Wie Erde“, denkt er.
Als er an seinem Auto ankommt, blickt Elvir ihn finster an. Frank startet den Wagen und gleitet wieder auf die Autobahn. In Slavonski Brod ändert sich die Szenerie schlagartig. Durchlöcherte Fassaden, ausgebrannte Häuser und verlassene Ruinen säumen die Straße. Für Frank war das neu.
Mit dem ersten Licht des Tages nimmt Elvir das unterbrochene Gespräch unvermittelt fort. „Eines Tages konnte ich fliehen, kam irgendwie nach Deutschland. Ich dachte, ich hätte das Richtige getan. Doch für die einen wurde ich zum Verräter, als ich zur Armee ging und für die anderen, als ich floh. Ich konnte nicht mehr zurück. Dunja hat das nie verstanden.“ Und nach einer langen Pause: „Kann ich jetzt mal eine rauchen? Bitte!“
Frank hält an einer Ruine. Während Elvir raucht, sucht sich Frank ein abgelegenes Stück zum pinkeln. Er steigt über ein schwarz-gelbes Plastikband und öffnet seine Hose. Während er noch am Reißverschluss nestelt, schreit ihn Elvir plötzlich und von weitem an: „Was zum Teufel machst Du da?“
„Ich pisse, was glaubst Du denn?“
„Du Arsch stehst in einem verdammten Minenfeld!“
Frank dreht sich wie in Zeitlupe um. Stimmt, da ist ja dieses Plastikband.
„Beweg dich bloß nicht!“ sagt Elvir. Langsam nähert er sich der Absperrung. Von dort aus beginnt er wortlos und sehr gründlich den Boden zu untersuchen.
Frank steht da wie versteinert. Elvir hat etwas gefunden, steckt eine Zigarette in den lockeren Boden und sucht eine andere Route. Nach etwa zwanzig Minuten steht er schließlich vor ihm. „So, Du bleibst hinter mir. Und komm mir nicht in die Nähe der Zigaretten.“ So schleicht Frank hinter Elvir her – sorgsam bedacht, in dessen Fußstapfen zu bleiben. Als sie die Absperrung erreichen, grinst Elvir ihn an.
„Mach gefälligst deine Hose zu. Man hält uns sonst für zwei verdammte Schwuchteln.“ Elvir lacht, Frank zittern noch Knie und Hände.
„Äh, danke…“ stammelt er, „Ohne dich wäre ich jetzt…“
„Ohne mich wärst Du gar nicht hier!“, unterbricht ihn Elvir und zündet sich eine neue Zigarette an. „Komm, nimm auch eine. Das bringt dich wieder runter.“ Fast automatisch greift Frank nach dem Glimmstängel, verschluckt sich gleich beim ersten Zug, muss husten. Gleichzeitig spürt er, wie die bleierne Schwere aus seinen Gliedern schwindet.
„Komm jetzt“, ermahnt ihn Elvir „wir haben genug Zeit vertrödelt.“
War es Frank entgangen, dass sie jetzt beide in seinem Taxi sitzen und rauchen? Frank schnippt die Asche aus dem Fenster. „Okay“, sagt er „fahren wir weiter…“
Und nächste Woche: Taxi nach Sarajevo, Teil 3: Zenica.
Teil 1:
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