„Wo waren Sie denn so lange? Ich hab’s eilig!“ Frank öffnet seinem nächsten Fahrgast gerade die Tür, als der seine Tasche auf die Rückbank schmeißt und fordert: „Zum Busbahnhof Fröttmaning. So schnell wie möglich!“
Frank schaltet den Taxameter ein. „Wann müssen wir denn da sein?“, will er wissen. „Jetzt red nicht, fahr lieber!“ bekommt er zur Antwort. Während Frank seinen Mercedes von der Hansastrasse auf den Mittleren Ring lenkt, telefoniert sein Fahrgast in einer fremden Sprache – was Östliches, denkt Frank – schimpft, beschwört, droht. So klingt es zumindest. Franks Spätschicht hatte gerade erst begonnen und dies war also nun sein zweiter Fahrgast.
Die erste Fahrt war eine Rundreise vom Amalien-Stand, kreuz und quer durch Schwabing gewesen, während der Franks Kunde immer mehr wie ein gehetztes Tier wirkte und bei jeder Station einen neuen Geruch mit ins Taxi brachte. Mit Espresso- und Wurstgeruch konnte er leben, aber bei Rauch hörte der Spaß auf. Frank hasst Rauch!
Nachdem er den Rundreisenden hinter St. Benno abgeladen hatte, piepste das IsarFunk-Gerät schon los: Hansastrasse, Busbahnhof, 12 Minuten! Und jetzt hatte er den nächsten eiligen Fahrgast. Frank versucht, sein Gestikulieren zu ignorieren, das ihm bedeutete, hier zu überholen oder da die Spur zu wechseln, während er mit wechselndem Gesichtsausdruck in sein Handy schreit.
Als sie auf die A9 auffahren und die Strecke frei ist, atmet Frank ein wenig auf. Da reißt ihn der Kunde aus seinen Gedanken: „Wir müssten jetzt da sein. Das gibt’s doch nicht! Jetzt verpasse ich nicht nur einen, sondern gleich zwei Busse! Scheiße!“
Und tatsächlich: Auf der Brücke Richtung Stadion kommt ihnen ein Bus entgegen. Ziel: Sarajevo. Frank steuert den Wagen neben den verwaisten Busbahnhof und hält an. Sein Fahrgast steigt wortlos aus, zündet sich eine Zigarette an und geht neben dem Taxi auf und ab. Auf dem Taxameter tickt die Zeit. Nach etwa drei Minuten schaltet Frank trotzdem ab, was das Gerät mit einem kurzen Piepton quittiert, gerade als der Kunde zurückkommt und leise, fast sanft, fragt: „Was kostet es, wenn Du mich nach Sarajevo fährst?“
„Wie weit ist das denn?“, will Frank wissen.
„700 Kilometer“ bekommt er zur Antwort.
„Dann will ich 1.000. Und die Mautgebühren extra!“
Da greift der Fahrgast in die Hosentasche, kramt eine Rolle Geldscheine heraus und zählt ihm sechs grüne Scheine auf die Hand. „Das ist der Vorschuss. Wenn Du mich bis morgen Mittag nach Sarajevo bringst, gibt’s noch mal so viel.“
Also gut, denkt sich Frank, als er den Bock wieder auf die Autobahn reißt. Erst die A99, dann auf die Salzburger Strecke. Seinen Unternehmer hat er am Telefon ein wenig überreden müssen. Aber 1.200 Euro Umsatz in drei Schichten – denn so lange werden die Hin- und Rückfahrt schließlich dauern – haben den Chef schließlich überzeugt. Und Frank auch. Hatte er doch kurzzeitig auch Bedenken, denn sein spendabler Fahrgast hatte sich ja nicht gerade als Meister der Freundlichkeit bei ihm eingeführt. Egal. 600 Euro für einen Trip nach Bosnien kommen ihm gerade recht.
Schon frisst der Mercedes die Kilometer, überholt Lkw und Schleicher, während es langsam dunkel wird und erst der Chiemsee, dann das erleuchtete Salzburg an ihnen vorüber gleitet. Fast beginnt Frank die Reise Spaß zu machen, als sich sein Fahrgast wortlos eine Zigarette anzündet.
„He, das geht aber nicht!“ meutert Frank.
„Bist du bekloppt?“ schallt es ihm zurück. „Ich zahl doch nicht 1.200 Euro und darf dann nicht rauchen!“
Er grinst und raucht weiter. Jetzt reicht es Frank. An der nächsten Tankstelle fährt er raus, hält an, zählt die Hälfte der Scheine ab, drückt sie dem Fahrgast in die Hand und sagt: „So, hier ist Endstation für dich. Für mich war’s das jetzt. Und tschüss!“
„He, das geht so nicht“ sagt dieser und schiebt ihm die Scheine wieder rüber. „Ich brauche dich. Ohne dich bin ich erledigt!“
Frank ist neugierig. „Sag mir einen Grund, warum ich Dich nach Sarajevo fahren soll. Das sollte aber ein verdammt guter sein.“
„Die Liebe meines Lebens heiratet morgen.“
Was soll dann die Eile, denkt sich Frank. „Ohne dich kann die Show ja nicht starten, oder?“.
„Doch!“ kommt es kleinlaut zurück. „Denn sie heiratet dann einen anderen Mann.“
„Dann lass das mit dem Rauchen“ sagt Frank, startet den Wagen, lässt die Scheiben runter und gibt Gas. Vor ihnen ein Tunnel. Einer von vielen, die sie in dieser Nacht noch durchfahren werden.
Als er die Scheiben wieder schließt, fragt er noch: „Wie heißt du eigentlich? Ich bin Frank.“ Er heißt Elvir, sagt sein Fahrgast. „Hallo Elvir!“
Dann zieht er den Wagen hinter einem Lkw auf die Überholspur, sieht, wie im Rückspiegel die Lichter immer kleiner werden. „Dann also nach Sarajevo!“
Und nächste Woche: Taxi nach Sarajevo, Teil 2: Schatten der Nacht.