Durchgangsverkehr lässt sich aus Wohngebieten mit engen Straßen, Schulen und Kindertagesstätten auf unterschiedliche Arten fernhalten: Manche Stadt setzt auf Vernunft, Verbote und Kontrollen, andere eher auf bauliche Sperren.
In Berlin-Wilmersdorf ist eine – nicht nur bei Taxifahrern beliebte – Abkürzungsmöglichkeit vom Innsbrucker Platz zum Halteplatz Durlacher Straße weggefallen. Verboten war sie schon länger, aber das ist in Berlin eher zweitrangig. Die bauliche Schließung ist nur eine von etlichen Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung, die die Verkehrsverwaltung unter Senatorin Regine Günther derzeit umsetzt. Der rot-rot-grüne Senat hat sich 2016 eine Veränderung des Straßenraumes auf die Fahnen geschrieben, weg von „autogerecht“, hin zu „fahrrad- und fußgängerfreundlich“. Das beinhaltet unter anderem, dem Kraftverkehr Wege durch Wohngebiete zu erschweren bzw. zu verbauen, deren Aufenthaltsqualität verbessert werden soll.
In Berlin besteht das Problem, dass die Akzeptanz von sozialen Regeln insbesondere im Straßenverkehr in den letzten 20 Jahren deutlich abgenommen hat. Eine Mitschuld daran geben viele der drastischen Sparpolitik zu Zeiten Klaus Wowereits (SPD), der die Hauptstadt von 2001 bis 2014 regierte, und dessen Finanzsenator Thilo Sarrazin für seine Äußerung bekannt wurde, Berlin müsse „sparen, bis es quietscht“. Ursache für die leeren Kassen war (und ist) allerdings der von Klaus Landowsky (CDU) verursachte Berliner Bankenskandal um die Jahrtausendwende.
Eine Folge, die bis heute wirkt, war der anschließende umfangreiche Stellenabbau in den Landesbehörden, so auch bei der Polizei, die heute sichtbar weniger präsent ist. Seitdem hat man sich in Berlin daran gewöhnt, dass Verstöße gegen Verkehrsregeln nur noch selten geahndet werden. Die sichtbaren Folgen sind unter anderem dauerhaft zugeparkte Busspuren wie beispielsweise in der Hauptstraße in Schöneberg und die permanente Missachtung etlicher Regeln durch Mietwagenfahrer und alle anderen Verkehrsteilnehmer.
Auch im Senat und in den Bezirksverwaltungen geht man inzwischen offenbar davon aus, dass bloße Verbote nicht viel bewirken, und setzt auf bauliche Maßnahmen. So wurde im Sommer letzten Jahres das Friedrichshainer Wohngebiet zwischen Frankfurter Allee, Proskauer Straße, Eldenaer Straße und Pettenkoferstraße, dessen Straßenbeläge zum Teil aus lärmintensivem Kopfsteinpflaster bestehen, an mehreren Kreuzungen mit Diagonalsperren ausgestattet, die jeweils ein Abbiegen erzwingen und eine geradlinige Abkürzung durch den Kiez weitgehend unmöglich machen. Prompt sank die Lärmbelastung dort erheblich.
Ein Beispiel für den gescheiterten Versuch, mit Verboten etwas zu bewirken, war Anfang August 2020 die Umwidmung des Kreuzberger Straßenzuges Körtestraße – Grimmstraße zur Fahrradstraße: Durchfahrt verboten außer für Radfahrer, angezeigt durch augenscheinlich provisorische, jedoch unübersehbare Schilder. Nur Anlieger dürfen die Straßen seitdem noch mit Kraftfahrzeugen befahren. Wie hoch der Anteil derer ist, die die Definition der Begriffe Fahrradstraße und Anlieger exakt kennen, sei einmal dahingestellt. Fakt ist, dass die Verbote komplett ignoriert wurden, und der Durchgangsverkehr unverändert durch die Straßen floss, einschließlich Lkw, Taxis und Streifenwagen der Polizei. Zu attraktiv scheint die Abkürzung zwischen Südstern und Urbanstraße. Erst, seit kürzlich mitten in der Körtestraße eine Verengung aufgebaut wurde, die Autofahrern ein hohes Augenmaß abverlangt und nur Radfahrern die zügige Durchfahrt gestattet, zeigt das Verbot zumindest auf diesem Abschnitt Wirkung. Vielleicht beruht diese auch auf den zusätzlich aufgestellten Sackgassenschildern, denn die signalisieren eher „geht nicht“ als „darf man nicht“.
In der nördlichen Fortsetzung, der Grimmstraße, hat sich allerdings noch nichts geändert. Hier besteht die wichtigste Zufahrt zum Klinikum am Urban. Beachtet man das Durchfahrtverbot und andere Verkehrsregeln, ist man als Kraftfahrer (außer mit Taxi) gezwungen, das Krankenhaus durch verkehrsberuhigte Bereiche anzufahren, was mehrere hundert Meter Kopfsteinpflaster-Fahrt im Schritttempo bedeutet. Baulich erscheint es in der Grimmstraße auch möglich, nur die östliche der beiden Fahrbahnen dem Radverkehr vorzubehalten und die westliche Fahrbahn, auf der sich zudem ein Taxihalteplatz befindet, in beiden Richtungen dem Kraftverkehr zu lassen. Doch halbe Sachen will man im Senat zehn Monate vor der Wahl vermutlich nicht machen. Zudem wäre hierfür eine umfangreiche Umgestaltung einer Ampelkreuzung erforderlich, und dafür ist Berlins Landeskasse nicht gut genug gefüllt.
Ein ähnliches Beispiel, bei dem die Abkürzungsmöglichkeit vielen Kraftfahrern zu verlockend ist, als dass sie regelkonform die Fahrradstraße meiden würden, ist die Prinzregentenstraße in Wilmersdorf, seit 2010 Fahrradstraße. Insbesondere der kurze Abschnitt zwischen Wexstraße und Durlacher Straße wurde weiterhin vom Kraftverkehr dominiert. Hier bestand – wie eingangs erwähnt – für Taxifahrer eine attraktive Anfahrtmöglichkeit zum Halteplatz in der Durlacher Straße. Auch an der Kreuzung dieser beiden Straßen wird deshalb derzeit eine Diagonalsperre errichtet, die diese Abkürzungsmöglichkeit nun unterbindet (siehe Foto).
Eine kürzlich erfolgte bauliche Maßnahme zur Verkehrsberuhigung in Kreuzberg könnte sich hingegen als wirkungslos erweisen: Der Mittelstreifen der Wiener Straße ist an der Kreuzung Lausitzer Straße mit rot-weißen Sperren verrammelt worden, um die Kiez-Abkürzung zwischen dem Lausitzer Platz und der Sonnenallee über die Ohlauer Straße zumindest in eine Richtung zu unterbinden. Biegt man von der Lausitzer Straße nun gezwungenermaßen rechts statt links in die Wiener Straße ab, so ist der Mittelstreifen allerdings nach wenigen Metern unterbrochen, da sich hier eine große Feuerwache befindet. Hier wurde zusätzlich zu den durchgezogenen weißen Fahrbahnbegrenzungslinien pro forma ein neues Schild „Wendeverbot“ aufgestellt. Doch wie wirksam Verbotsschilder auf Berliner Straßen sind, ist inzwischen ja bekannt.
Wenn vom Senat beschlossene Verbote und Sperren wie geplant installiert werden, die vereinbarten Alternativen zum motorisierten Individualverkehr wie etwa der zügige Bau neuer Straßenbahnstrecken aber auf sich warten lassen, dürfte der entstehende Leidensdruck alleine wohl nur wenige Autofahrer zum Umstieg auf den öffentlichen Verkehr bewegen. ar