Das Bundesverkehrsministerium wechselt von der CSU zur FDP. Für welche Politik steht der neue Bundesminister für Digitales und Verkehr, Volker Wissing? Taxi Times fasst die Einschätzungen diverser Medien zusammen.
Der Pfälzer Wissing promovierte bereits mit 27 Jahren als Jurist, war Staatsanwalt und Richter. Heute ist der 51-Jährige Generalsekretär der FDP und Landesvorsitzender seiner Partei in Rheinland-Pfalz. Er war dort bereits von Mai 2016 bis Mai 2021 Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau. Von 2004 bis 2013 war Wissing Mitglied des Bundestages, saß unter anderem im Finanzausschuss und war zeitweise stellvertretender Fraktionsvorsitzender.
Als Landesverkehrsminister hat Wissing mit der Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken gezeigt, dass er den Schienenverkehr nicht stiefmütterlich behandelt. Im Wirtschaftsverkehr hat er mit einer Förderung von E-Lkw, einer Wasserstoff-Strategie für Nutzfahrzeuge sowie mit Plänen für eine autonom fahrende Fähre mit Solarantrieb gepunktet.
Die Süddeutsche Zeitung prophezeit Volker Wissing dennoch einen schwierigen Start als Bundesminister, denn die Pläne des Ampelvertrages würden zum Erreichen der deutschen Klimaziele nicht ausreichen. Doch Wissing zeigt sich entschlossen: „Es sind enorme Veränderungsprozesse nötig“, zitiert ihn die Süddeutsche. „So wie es ist, kann es nicht bleiben.“ Er spricht von nötigen Aufgaben, unter anderem vom Aufbau einer dichteren Ladesäulen-Infrastruktur und der Mobilität im ländlichen Raum. Politik sei ein Inklusionsauftrag. „Die Aufgabe wird sein, jedem und jeder ein Mobilitätsangebot zu machen, das für die individuellen Bedürfnisse passt, und das bezahlbar ist.“ Mit der Umsetzung der Aufgaben möchte Wissing die Menschen nicht überfordern, man werde es aber „in dem Maße tun, wie es das Land braucht“.
Der Berliner „Tagesspiegel“ bezeichnet Wisssing „eher als Finanzexperten“. Er gelte als „sehr analytisch, undogmatisch und aufgeschlossen für neues“. Als Minister einer Ampelkoalition habe er recht harmonisch mit den Partnern regiert und sei bei seinen konservativeren Parteifreunden schon mal angeeckt. Er habe mit „seinem Nahverkehrsgesetz“ den ÖPNV „in die Hände der Kommunen gelegt, damit die mehr Gestaltungsmöglichkeiten bekommen“ und „sich mit den Zweckverbänden für den Nahverkehr auf der Schiene angelegt, die unter dem Einfluss von CDU und SPD stehen“. Eine Lobbypolitik für das Auto könne man Wissing nicht unterstellen. Zum Landtag in Mainz sei er gerne mit einem E-Tretroller gefahren, und in Berlin nutze er lieber die U-Bahn als den Bundestagsfahrdienst, um nicht im Stau zu stehen.
Die Funke-Mediengruppe meint, das „erste große Interview“ mit dem designierten Minister – in der „Bild“-Zeitung – schien „die schlimmsten Befürchtungen“ der Grünen zu bestätigen: „Die FDP werde dafür Sorge tragen, […] dass ‚höhere Energiesteuern auf Dieselkraftstoffe durch geringere Kfz-Steuern ausgeglichen werden’. Außerdem wolle er sich dafür einsetzen, ‚dass es bei der Reform der Energiesteuer-Richtlinie nicht zu überbordenden Belastungen für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler kommt’.“ Das sorgt zwangsläufig für Unmut bei Klimaschützern, die höhere Kosten als wirksames Regulativ gegen hohe Emissionen sehen. Eine grundsätzliche Verweigerungshaltung gegenüber grünen Anliegen sei bei Wissing aber bislang nicht zu beobachten, wie die „Berliner Morgenpost“ es formuliert. Wissing halte sich an Absprachen. Im Unterschied zu Parteifreunden wie Wolfgang Kubicki neige Wissing auch nicht zu provozierenden Formulierungen, sondern wäge seine Worte genau ab.
In dem besagten Interview hatte Wissing gesagt, man habe zugehört und verstanden, wo die Probleme sind. Mobilität dürfe nicht zum Luxus werden, sondern müsse bezahlbar bleiben. Die Pendlerpauschale bleibe bestehen, die staatliche Förderung bestimmter Antriebsarten könne aber „immer nur ein Zwischenstadium sein“ und keine Dauerlösung. Die Fahrzeugindustrie müsste so schnell wie möglich zu einer klimaneutralen und international wettbewerbsfähigen Angebotsbreite kommen. Den Weg dorthin werde man unterstützen, wo man könne.
Der „Spiegel“ spricht von einem „autofreundlichen Kurs“ Wissings, dessen „besonderes Augenmerk“ vor allem kleineren Unternehmen gelte, die auf Dieselfahrzeuge „noch angewiesen“ seien. Die Koalitionsverhandlungen seien für die grünen Verhandlungspartner desillusionierend gewesen. Spiegel Online bezeichnet Wissing als „Anwalt der Autofahrer“.
Das Nachrichtenportal von T-Online zitiert Wissing, er wolle „auch Anwalt der Radfahrer, der Bahnfahrer und Nutzer von öffentlichen Verkehrsmitteln sein“. Der Verbrennungsmotor sei ein Auslaufmodell.
Das Thema Diesel-Abgaben behandelt das Portal n-tv unter der Überschrift „Hier wird es bei der Ampel knirschen“ und macht „vage Formulierungen im Koalitionsvertrag“ als Ursache für zu befürchtenden Streit aus.
Lange Zeit während der Koalitionsverhandlungen hatte es so ausgesehen, als würde das Verkehrsministerium eine grüne Spitze bekommen: entweder der Schwabe Cem Özdemir, ehemaliger Parteivorsitzender und bis jetzt Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Deutschen Bundestag, oder sein Vorgänger, der Bayer Anton Hofreiter. Die Grünen hatten es als entscheidend für den Klimaschutz angesehen, das Verkehrsministerium zu bekommen. Nun wird Volker Wissing von der FDP den Job machen, an seiner Seite die Staatssekretärin und Uber-Befürworterin Daniela Kluckert.
Vielleicht hat die Lösung für die Grünen auch etwas für sich: Wer weiß, ob es für einen grünen Verkehrsminister nicht ein Ding der Unmöglichkeit geworden wäre, zwischen den unvereinbaren Forderungen von Klimaaktivisten einerseits und Wirtschaftverbänden und Autolobby andererseits überhaupt konsensfähige Kompromisse zu finden. So können sie gegenüber ihren unzufriedenen Anhängern auf den Koalitionspartner verweisen, wenn es nicht klimagerecht zugeht. ar
Beitragsfoto: www.volker-wissing.de