Ein kalifornischer Richter hat einen Gesetzesentwurf, der Uber und Lyft-Fahrer als Selbstständige einstuft, als verfassungswidrig erklärt.
Am vergangenen Freitag entschied Frank Roesch, Richter am kalifornischen Alameda County Superior Court, dass Teile des Gesetzesentwurfs „Proposition 22” vom November 2020, kurz Prop22 genannt, der darauf abzielte, Uber- und Lyft-Mitarbeiter als Selbständige einzustufen, verfassungswidrig seien. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und damit noch nicht wirksam.
Nach dem 2019 erlassenen Arbeitsgesetz des Landes (AB5-Gesetz) mussten Fahrer als Arbeitnehmer eingestuft werden, was den Plattformanbietern die Suppe zunächst gründlich versalzte. Mit einer brachialen und irreführenden Medien-Kampagne brachten Uber, Lyft und Doordash zahlreiche Kalifornier dazu, sich auf die Seite der Konzerne zu stellen und zuzustimmen, App-Fahrern die üblichen Sozialleistungen (Mindestlohn, Krankenversicherung und Arbeitsplatzschutz) zu verweigern und sie als Selbstständige einzuordnen. Der Gesetzesentwurf Prop22 sah nur minimale Sozialleistungen vor wie zum Beispiel ein begrenztes Krankengeld. Die 200-Millionen-Dollar-Kampagne war erfolgreich: Prop22 wurde in einer Volksabstimmung mit 59 zu 41 Prozent angenommen und die Rechte der Fahrer somit wieder erheblich geschmälert.
Die Gewerkschaft Service Employees International Union hatte im Januar 2021 gleich beim Supreme Court, dem höchsten Gericht des Bundesstaates Kalifornien geklagt, das die Klage aber an eine niedrigere Instanz verwies.
Gegen das jetzige Urteil, das wiederum zu Gunsten der Fahrer ausgefallen ist, haben Uber und weitere Interessensgruppen umgehend Berufung eingelegt, so dass nun erneut Unsicherheit über den Status der Uber- und Lyft-Fahrer herrscht.
Den Konflikt macht die Tatsache umso brisanter, dass auf Basis der erfolgreichen Lobbyarbeit für Prop22 in Kalifornien Uber und Lyft an verschiedenen Orten in den USA ähnliche Gesetzvorschläge auf den Weg gebracht haben und versuchen, ihre arbeitnehmerfeidlichen Regelungen als eine Art „goldenen Mittelweg“ zu etablieren. Sie wollen eine standardmäßige Einstufung der Fahrer als Selbstständige erreichen und gleichzeitig die von den Gig-Unternehmen so gewünschte Flexibilität (und niedrigstmögliche Löhne) beibehalten.
Viele der (sozialen) Vorteile, die beide Unternehmen in Kalifornien nicht nur den Wählern, sondern auch den Fahrern versprochen hatten, sind ausgeblieben. Einige der Freiheiten, etwa die Möglichkeit, App-Fahrten ungestraft abzulehnen und eigene Tarife festzulegen, die in Kalifornien vor Prop22 bestanden und mit denen die Gig-Unternehmen vor Prop22 experimentierten, wurden stillschweigend entfernt.
Richter Frank Roesch entschied nun, dass mehrere Teile der Prop22-Maßnahme nach kalifornischem Recht verfassungswidrig sind. So gibt es zum Beispiel eine Bestimmung, die eine gesetzgeberische „Übermehrheit” von sieben Achteln für die Änderung von Prop22 verlangt, was die gesetzgeberische Änderungsbefugnis der Landesverfassung nach Ansicht des Richters praktisch unmöglich macht. Roesch sagte in seiner Urteilsbegründung, die Möglichkeit, Änderungen einzuschränken, verstoße gegen die Landesverfassung und schaffe eine „schwierige bis unmögliche“ Änderungsschwelle.
Das Gericht stellte fest, dass die den Kaliforniern im November vorgelegte Maßnahme die Möglichkeiten des Gesetzgebers einschränkte, den Arbeitern Tarifverhandlungen zu ermöglichen. „Ein gesetzliches Verbot von Tarifverhandlungen für App-Fahrer fördert weder das Recht, als selbstständiger Unternehmer zu arbeiten, noch schützt es die Arbeitsplatzflexibilität, noch bietet es Mindestarbeitssicherheits- und Lohnstandards für diese Arbeitnehmer“, erläuterte Roesch. „Es scheint nur das wirtschaftliche Interesse der Netzwerkunternehmen an einer gespaltenen Gewerkschaftsbelegschaft zu schützen, was kein klares Ziel des Gesetzes ist.“
Uber-Sprecher Noah Edwardsen kommentierte die Gerichtsentscheidung: „Dieses Urteil ignoriert den Willen der überwältigenden Mehrheit der kalifornischen Wähler und widerspricht sowohl der Logik als auch dem Gesetz. In der Zwischenzeit bleibt Prop22 in Kraft, einschließlich aller Schutzmaßnahmen und Vorteile, die es unabhängigen Arbeitnehmern landesweit bietet.“
Die Tageszeitung Washington Post (die sich seit 2013 im Besitz des Amazon-Gründers Jeff Bezos befindet) zitierte Veena Dubal, eine Rechtsprofessorin an der University of California Hastings, die im Namen der Kläger einen sogenannten Amicus-Brief mit verfasst hatte. Das ist im amerikanischen Recht ein Schriftsatz an ein Gericht, in dem eine am Verfahren nicht selbst beteiligte Person oder Organisation rechtliche Argumente und eine Handlungsempfehlung für einen vor Gericht ausgetragenen Fall darlegen kann. Dubal sagte, die Unternehmen hätten gesetzliche Grenzen überschritten, was „das Recht der Gesetzgeber und Gemeinden betrifft, etwas im Namen der Arbeitnehmer zu vertreten”. Sie hätten in unlauterer Weise versucht, den Fahrern die Ansprüche aus der staatlichen Entschädigungsregelung vorzuenthalten. „Sie sind mit ihren Versuchen zu weit gegangen.“
William Gould, emeritierter Professor für Rechtswissenschaften an der Stanford University, sagte derselben Zeitung dagegen, die genaue Argumentation des Richters sei schwer nachzuvollziehen. Die Gig-Unternehmen stünden vor einer erheblichen Herausforderung, die eher ein Fall für die höchste Instanz sei. „Ich denke, dies ist ein sehr klarer und wichtiger Präzedenzfall, und das letzte Wort wird vom Obersten Gerichtshof von Kalifornien gesprochen.“ wf
Beitragsfoto: Am Alameda County Superior Court ist ein wegweisendes Urteil gefallen. (Quelle: AdobeStock_351733231, Foto: Lukas)