Mit der Reparatur von schweren KfZ-Schäden ist gutes Geld zu verdienen. Kriminell wird es aber, wenn beispielsweise zur Profitoptimierung neue Airbags eingespart werden. Versicherungsmaklerin Kim Sombrutzki berichtet über eine neue, lebensgefährliche Masche.
Gemeinsam mit dem IHK-Sachverständigen KfZ-Gutachter Christoph Barke aus Hannover berichtete die 4U-Assekuranz-Maklerin Kim Sombrutzki auf der Delegiertenversammlung des GVN am 8. September von einer beängstigenden neuen Masche bei der Totalschadenreparatur, die allein in ihrer Agentur in diesem Jahr schon mehrfach augenfällig wurde. Als so genannter Totalschaden verschadete Fahrzeuge werden aufgekauft und dann exportiert, beispielsweise nach Litauen oder Bulgarien. Dort werden sie dann instandgesetzt und anschließend reimportiert. Grundsätzlich eine gute Sache, da allein aufgrund der höheren Arbeitskosten aufwändige Reparaturen, die über den simplen Austausch von Teilen hinausgehen, in diesen Ländern oft erheblich günstiger realisierbar sind als hier in Mitteleuropa.
Kriminell wird es aber, wenn die Fahrzeuge im Rahmen der Reparatur optisch bewusst so optimiert werden, dass sie sich anschließend als unfallfrei verkaufen lassen, und wenn wichtige Sicherheitstechnik, insbesondere Airbags, dabei einfach nicht ersetzt werden. Insbesondere der Verzicht auf neue Airbags spart enorm Geld, denn die sind richtig teuer. Schneidet man alternativ die genutzten Airbag einfach stumpf ab und überbrückt die Sensoren mit exakt passenden Widerständen, so geht die Fahrzeugtechnik davon aus, dass die Sicherheitstechnik vollständig funktionstüchtig und in der Sicherheitskette Gurt – Airbag – Gurtstraffer integriert ist.
Solche Reparaturmängel sind dann kein Kavaliersdelikt, bei dem Käufer einfach nur etwas Minderwertiges Gebrauchtes zu einem überhöhten Preis erwerben. Ohne funktionstüchtige Airbags wird das gesamte Sicherheitskonzept eines modernen Fahrzeugs vollständig egalisiert oder sogar in seiner Funktion ins Gegenteil verkehrt. Besonders perfide ist, dass solche Reparateure ganz bewusst darauf achten, Spaltmaße oder Verschraubungen bei der Reparatur so zu gestalten, dass selbst Profis die Vorschäden kaum noch erkennen, berichtete der KfZ-Gutachter Christoph Barke, mit dem Kim Sombrutzki versucht hat, diese ihr zur Kenntnis gelangten Fälle aufzuarbeiten.
Aufgefallen waren diese Fälle, nachdem sich potentielle Käufer über sehr attraktive Fahrzeugangebote gewundert hatten, bei denen gebrauchte Fahrzeuge als unfallfrei angeboten wurden. In diesen Fällen war beim reparierten Fahrzeug die Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN), umgangssprachlich Fahrgestellnummer, erhalten geblieben und ermöglichte so eine Prüfung der Fahrzeughistorie. Es gibt aber auch Fälle, in denen sogar die FIN getauscht wurde. Dann ist eine solche Recherche fast unmöglich. Ist die FIN erhalten, so lässt sich diese über die HIS-Wagnisdatei prüfen. Im HIS (Hinweis- und Informationssystem der Versicherer) werden Versicherungsfälle in den Sparten Kfz, Unfall, Rechtsschutz, Sachschaden, Leben erfasst, also Vorschäden registriert. Dies ermöglicht den Versicherern unter anderem die Analyse der Abrechnung von Altschäden.
Die HIS-Systemdaten sind vor allem für die Versicherer verfügbar, welche auch aus eigenem Antrieb schwerere Schäden dorthin melden. Nach welchem Muster bestimmte Schäden dort gemeldet werden und andere nicht, konnte aber auch Christoph Barke nicht darlegen, da die Indikatoren dabei recht komplex sind. Neben den Versicherern haben auch viele Markenwerkstätten Zugriff auf die Daten, zumindest dann, wenn sie die dort vertretene Marke betreffen. Kommt einem als Interessent also ein besonders attraktives Fahrzeugangebot spanisch vor, dann kann es sein, dass die örtliche Markenwerkstatt die Fahrzeughistorie in der HIS-Datei prüfen kann.
Barke berichtete in seinem Exkurs zur HIS-Datei übrigens auch, dass über die angesprochenen HIS-Daten inzwischen vor allem von einem großen Versicherer fast alle Schäden abgeglichen werden. Dort wird dann versucht, bei hinterlegten Vorschäden die Regulierung zu deckeln. So gibt es dort also bei neuen Voll- oder Teilkaskoschäden ggf. Abzüge beim Restwert. Problematisch ist dabei, dass sich Restwerte von Fahrzeugen mit reparierten Vorschäden kaum schätzen lassen. Außerdem lässt sich die wirklich vollständige Reparatur nur durch ein aufwändiges und teures Reparaturgutachten nachweisen, mit dem üblichen Fotonachweis mit aktueller Tageszeitung kommt man da nicht weiter. Den Anspruchstellern ist es somit selbst vor Gericht kaum möglich, den aktuellen Fahrzeugwert eines nach Vorschäden reparierten Fahrzeugs vor einem neuen Unfall nachzuweisen.
Kim Sombrutzki stellte dann die möglicherweise dramatischen Konsequenzen vor, die sich aus dem Erwerb eines solchen vermeintlichen Schnäppchens ergeben können. Zunächst einmal wird sich kein Fahrzeugbesitzer damit wohlfühlen, wenn bei einem Unfall der erwartete Airbag überraschenderweise nicht funktioniert, besonders dann, wenn es dadurch zu Verletzungen von Passagieren oder Mitarbeitern kommt. Auch werden zu regulierende Personenschäden die Rentabilität seines Versicherungsvertrages in der Regel erheblich stärker belasten als reine Blechschäden. Insbesondere als Halter von Viel-Kilometer-Fahrzeugen mit den statistisch entsprechenden Schadenquoten wird so etwas schnell existenziell.
Sombrutzki wies darüber hinaus auf eine Haftungsfalle bei Geschäftsführern wegen deren Fürsorgepflicht hin. BGB-Paragraf 618 Abs. 1 besage hierzu, dass der Dienstberechtigte die Räume, Vorrichtungen oder Gerätschaften so einrichten müsse, dass der Verpflichtete vor Gefahren geschützt sei. Auf dieser Basis hätten Klagen vor dem Arbeitsgericht bei schlimmeren oder langfristigen Verletzungen durchaus Chancen auf Erfolg, wenn in dem Fahrzeug eines Arbeitnehmers der serienmäßig verbaute Airbag fehlt.
Und auch, wenn es nicht zu einem Schaden kommt, ist der Schnäppchenkäufer beim Wiederkauf des Fahrzeugs verpflichtet, auf die Vorschäden hinzuweisen und den entsprechenden Wertverlust zu akzeptieren. Alles andere wäre Betrug. Selbst, wenn ihm diese Mängel gar nicht zur Kenntnis gelangt sind, kann die Haftungsfalle noch zuschnappen, insbesondere, wenn der Halter des fraglichen Fahrzeugs technisch versiert ist und die Mängel theoretisch hätte bemerken müssen. Diese Kompetenz wird man Taxlern eher unterstellen als Normalsterblichen. Hier fehlen allerdings bisher noch entsprechende Gerichtsentscheidungen, die als Referenz verfügbar wären.
Sombrutzki warnte zum Abschluss noch einmal eindringlich davor, bei Schnäppchenangeboten blauäugig zuzuschlagen. Auch hier gelte der Rechtsgrundsatz „Unwissenheit schützt nicht vor Strafe“, und in diesem Zusammenhang könne es dann wirklich teuer werden. rw
Beitragsbild: vorher und nachher, Fotos: Kim Sombrutzki, Collage: Remmer Witte