Mit ihren Stimmenthaltungen brachten EU-Parlamentarier aus vier Ländern den bereits stark ausgedünnten Kompromissvorschlag für eine EU-Richtlinie zum Schutz der Plattformarbeiter knapp zum Scheitern. Gewerkschafter warnen die Konzerne vor voreiliger Freude.
Am Ende der Arbeitswoche knallten die Sektkorken in den Chefetagen von Uber, Bolt, Deliveroo und anderen Plattformbetrieben. Auch ihre fleißigen Lobbyisten konnten nach drei Jahren zäher Verhandlungen auf das Erreichte anstoßen: Selbst der völlig abgespeckte Kompromissvorschlag zur Richtlinie gegen Scheinselbstständigkeit, den das derzeit amtierende belgische EU-Präsidium letztlich zur Abstimmung stellte, wurde mit Hilfe von Deutschland, Frankreich, Griechenland und dem Bolt-Heimatstaat Estland verhindert.
Obwohl das belgische EU-Präsidium beteuert, den Kampf nicht aufzugeben, erscheint es fraglich, ob eine neue, vielleicht noch dünnere Richtlinie eine Chance hat, noch vor den Europaparlamentswahlen erfolgreich zu sein. Bei Uber jubelte man triumphierend, dass „die EU-Länder erkannt haben, dass der vorgeschlagene Text im direkten Widerspruch zu dem steht, was Plattformarbeiter nach eigenen Angaben wollen“.
Gewerkschafter sehen es anders: „Millionen von Arbeitnehmern werden weiterhin zur Scheinselbstständigkeit gezwungen, nachdem einige wenige nationale Regierungen die Chance auf eine Einigung zur Plattformarbeitsrichtlinie torpediert haben,” berichteten die Europäische Gewerkschaften direkt auf der Plattform X. „Genau 799 Tage nach dem Vorschlag der Kommission legten Vertreter der französischen, deutschen, griechischen und estnischen Regierung letzte Woche ihr Veto gegen die in den Trilogverhandlungen zwischen den EU-Institutionen erzielte Einigung ein.” Allerdings stimmten 23 Länder für die Richtlinie, und die, so Ludovic Voet vom Europäischen Gewerkschaftsbund ETUC (European Trade Union Confederation), „sollten nicht zögern, sondern mit den Gewerkschaften zusammenarbeiten und auf nationaler Ebene Maßnahmen ergreifen, um den Skandal der Scheinselbstständigkeit zu beenden. (…) Die millionenschweren Tech-Brüder, deren ausbeuterisches Geschäftsmodell heute geschützt wurde, sollten sich nicht zu früh freuen.“
Am Ende der Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit am Freitag enthielten sich Frankreich, Griechenland, Deutschland und Estland der Stimme, was allein ausreichte, um durch eine sogenannte Sperrminderheit die Richtlinie zu blockieren. Bei einem Abstimmungssystem mit qualifizierter Mehrheit wird ein Dossier im Rat angenommen, wenn mindestens 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der gesamten EU-Bevölkerung repräsentieren, dafür stimmen. Allerdings kann es zu einer Sperrminorität kommen, wenn vier oder mehr Mitgliedstaaten entweder dagegen stimmen oder sich enthalten. Der belgischen Ratspräsidentschaft gelang es nicht, die nötige Unterstützung der Mitgliedsstaaten zu gewinnen, um sich auf eine neue Plattformarbeitsrichtlinie zu einigen, wodurch der Vorschlag nach mehr als zweijährigen Verhandlungen – seit Dezember 2021 – faktisch auf Eis gelegt wurde. Der Versuch der EU-Kommission die wachsende Gig-Economy in Europa zu regulieren, hatte damit ein Ende.
Zwar hatten sich die Verhandlungsführer des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission und der belgischen EU-Ratspräsidentschaft Anfang Februar auf eine stark abgeschwächte Fassung der Richtlinie geeinigt – doch selbst das reichte nicht aus, um bei der Abstimmung am Freitag die Zustimmung der Mitgliedstaaten zu erhalten. „Leider wurde die erforderliche Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit nicht gefunden. Wir glauben, dass diese Richtlinie, die einen wichtigen Schritt in Richtung dieser Arbeitskräfte (Plattformarbeiter – Anm. der Red.) darstellen soll, einen langen Weg zurückgelegt hat“, sagte die belgische Ratspräsidentschaft in einem Beitrag auf X.
Griechenland, Deutschland und Estland hatten angekündigt, sich der Stimme zu enthalten. Frankreich machte deutlich, dass es das Abkommen in seiner jetzigen Form nicht unterstützen könne. Dies allein reichte aus, um die Akte durch eine sogenannte Sperrminorität zu entschärfen. Bis zur letzten Minute behielten wichtige schwankende Staaten, darunter Frankreich, Italien und Spanien, ihre Karten im Verborgenen. Eine Tischtour, um die Ansichten der Mitgliedsstaaten einzuholen, war ursprünglich für den späten Vormittag geplant und wurde dann um mehrere Stunden verschoben – bevor klar wurde, dass es keine Zahlen gab. Das bedeutet faktisch, dass das Dossier kaum oder gar keine Hoffnung auf eine Neuverhandlung hat, bevor die parlamentarische Arbeit endet und der EU-Wahlkampf beginnt.
„Wir werden jetzt über die nächsten Schritte nachdenken“, postete die belgische Ratspräsidentschaft auf X – obwohl es sehr unklar ist, was diese nächsten Schritte bedeuten. „Ich habe absolut keine Ahnung, worauf diese nächsten Schritte hinauslaufen könnten“, sagte ein EU-Diplomat gegenüber Euractiv. Vor allem ist es ein schwerer Schlag für Kommissar Nicolas Schmit, der für das Dossier verantwortlich ist, da er bei den Wahlen voraussichtlich die Fraktion der Sozialdemokraten (S&D) anführen wird, den Wählern aber nichts zur Regulierung von Gig-Arbeit vorzuweisen haben wird. wf
Symbolfoto: Pixabay