Beim Parlamentarischen Abend sprachen Herwig Kollar und Michael Oppermann vom BVTM mit den Bundestagsabgeordneten Michael Donth und Jan Plobner unter anderem über ländliche Mobilität. Zum „49-Euro-Ticket“ gab es unterschiedliche Meinungen.
Moderator der Podiumsdiskussion beim Parlamentarischen Abend in der saarländischen Landesvertretung war Michael Oppermann, Geschäftsführer des gastgebenden Bundesverbandes Taxi und Mietwagen e. V. (BVTM). Nach der Eröffnungsansprache von BVTM-Präsident Herwig Kollar stellte Oppermann in lockerem Ton die beiden Politiker vor. Da die Mobilität in ländlichen Regionen teils mit anderen Problemen konfrontiert ist als in den größeren Städten, hatte der BVTM zwei Parlamentarier aus ländlich geprägten Wahlkreisen eingeladen.
Der 56-jährige Michael Donth (CDU) vertritt den Wahlkreis Reutlingen südlich von Stuttgart. Er hat eine lange Verwaltungslaufbahn hinter sich und war von 1999 bis 2013 Bürgermeister der 4.000-Seelen-Gemeinde Römerstein. Seit 2013 sitzt er im Bundestag.
Der 32-jährige Jan Plobner (SPD) ist im Landkreis Nürnberger Land beheimatet, sitzt seit 2021 für den Nachbarwahlkreis Roth (südlich von Nürnberg) im Bundestag, studierte zeitweise Politik- und Geschichtswissenschaften und war Standesbeamter bei der Stadt Nürnberg. Beide Politiker kennen somit die ländliche Personenbeförderung von jeher gut.
Oppermanns Frage, worin allgemein die Herausforderungen bei der Mobilität auf dem Land im Unterschied zur urbanen Mobilität bestehen, beantwortete Plobner kurz und konkret: längere Wege, weniger dichte Menschenansammlungen, andere Bedürfnisse als in den Städten, ganz andere Voraussetzungen im Infrastrukturbereich. Da auf dem Land nicht massenhaft Straßenbahnen und andere Linienverkehre bestehen, müsse man Mobilität dort anders denken, unter anderem viel mehr in Verbindung mit individueller Mobilität einschließlich dem privaten Autoverkehr. Auf dem Land könne nicht jeder auf den ÖPNV umsteigen. Für diejenigen Kunden, die es sich leisten können, spiele auch das Taxi auf dem Land eine wichtige Rolle. In der Stadt mit ihren viel kürzeren Wegen bereite ein flächendeckendes Angebot weniger Probleme, da Nahverkehr sich hier besser rechne.
Michael Donth kommt ebenso wie Plobner vom Land. Oppermann: „Welche Mobilitätsgewohnheiten aus Berlin legt man ab, wenn man wieder auf die Schwäbische Alb kommt?“ Donth sagte, er fahre die kurzen Wege in Berlin mit einem Leih-Roller. Wäre er im Auto unterwegs, sei er vermutlich „noch nicht da“. Die „Scooter“ hätten trotz durchwachsener Beliebtheit ihre Berechtigung. Auch in seinem Wahlkreis gebe es sie mittlerweile für die „letzte Meile“: im 14.000-Einwohner-Städchen Münsingen. Er selbst besitze kein Fahrrad, da er in seinem Wahlkreis auf ein Auto angewiesen sei, mit dem er gut 30.000 Kilometer im Jahr elektrisch angetrieben zurücklege.
Der dritte Diskussionsteilnehmer, BVTM-Präsident Herwig Kollar, berichtete, nur 30 Prozent der Bevölkerung in Deutschland leben in Städten, die anderen im ländlichen Raum. In der Begründung der PBefG-Novelle, warum der On-Demand-Verkehr als gebündelter Bedarfsverkehr bzw. Linienbedarfsverkehr habe geregelt werden müssen, sei zwar auf die Strukturen im ländlichen Raum Bezug genommen worden, doch sei gleichzeitig die Rede davon, dass dies voraussichtlich nur in Städten ab 200.00 Einwohner relevant würde.
Genau da liege die Krux: In den Städten und Ballungsbebieten gebe es eine Nachfrage, die ein entsprechendes Angebot und Konkurrenz bewirke. Auf dem Land funktionieren solche Marktmechanismen aufgrund der großen Fläche und der zu geringen Nachfrage in den einzelnen Ortschaften nicht. Hier bestehe kein Anreiz für Anbieter, um Kunden zu konkurrieren.
Andererseits wäre es – ebenso wie in den Städten – auf dem Land undenkbar, allen Kunden die tatsächlichen Kosten für die Personenbeförderung im öffentlichen Verkehr aufzuerlegen, von denen Fahrgäste nur einen vergleichsweise geringen Anteil zahlen und der Großteil von der öffentlichen Hand getragen wird. Wolle die Politik Fahrgästen auf dem Land ein Grundangebot an Mobilität bieten, das dem in den Städten ähnelt, müsse sie „Geld in die Hand nehmen“. Nur mit Zuschüssen könne das unternehmerische Interesse bei den Anbietern geweckt werden.
Oppermann fragte, welche Modelle hierfür in Betracht kämen; schließlich sei das Taxi ja das öffentliche Verkehrsmittel, in dem der Fahrgast tatsächlich die Kosten komplett zu bezahlen habe. Plobner sagte, man müsse sich bewusst machen, dass die Teile des ÖPNV außerhalb des klassischen Bus- und Bahnangebots mehr mitgedacht werden müssen und langfristig einer weitergehenden Finanzierung bedürfen. Im Kreistag habe er häufig die Erfahrung gemacht, dass um die Einführung von Buslinien diskutiert werde, und nachdem man sie endlich habe durchsetzen können, seien die Busse leer und die Linien würden nach wenigen Jahren wieder eingestellt.
Zu einem guten Angebot auf dem Land zählen für Plobner auch die Ausweitung des 49-Euro-Tickets auf gebündelten Bedarfsverkehr und die Bedienung in den Randzeiten. Kompliziert sei, dass nicht der Bund für den Nahverkehr zuständig ist, sondern die Länder und Kommunen. Hier müsse man die einzelnen Ebenen zur besseren Zusammenarbeit bringen, um einen guten Nahverkehr für alle umzusetzen.
Donth widersprach: Das 49-Euro-Tickt berge die Gefahr, das Angebot sogar zu verschlechtern, was er ausführlich zu belegen wusste: Sein Heimatland Baden-Württemberg habe vor der Einführung 180 Millionen Euro im Landeshaushalt für die Ausweitung des Mobilitätsangebots eingestellt. Jeder Ort habe von morgens um fünf bis Mitternacht mindestens im Stundentakt bedient werden sollen. Als das 49-Euro-Ticket kam, habe der grüne Ministerpräsident dem ambitionierten flächendeckenden Angebot eine Absage erteilt, weil das Geld für das 49-Euro-Ticket gebraucht wurde. Das Ticket würde von allen bezahlt, nutze aber fast nur den Bewohnern in den Ballungsräumen. „Wenn kein Bus kommt, ist mir’s egal, ob er 49 Euro im Monat oder 100 Euro im Monat kostet. Ich nutze ihn nicht, weil er nicht kommt.“
Donth, dessen CDU seit der letzten Wahl in der Opposition sitzt, verwies darauf, dass die Große Koalition seinerzeit (beim Ringen um die PBefG-Novelle) die Länder „von Anfang an mit eingebunden“ habe, was bei der Verkehrspolitik der jetzigen Bundesregierung über die Funktion des Bundesrats hinaus nicht mehr üblich sei. Man habe damals die Möglichkeit geschaffen, Linienverkehr auch als Abdeckung von Fläche mit On-Demand-Verkehren zu definieren, statt unwirtschaftliche Buslinien einzuführen. Dann sei ein Angebot mit halbstündlicher Bedienung denkbar. Um zu entsprechenden Ausschreibungen zu kommen, bedürfe es noch Änderungen in einigen Landesmobilitätsgesetzen – an denen der BVTM ja dran sei, wie Donth es in Richtung Oppermann formulierte.
Im Bundesrecht sind gleichzeitig mit der PBefG-Novelle die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, wie Oppermann anmerkte. Passiert sei bislang aber nicht viel. Er fragte Kollar, welche Hürden noch bestehen.
Kollar bestätigte, die Kombination aus PBefG- und Nahverkehrsgesetzesnovelle sei eine gute Voraussetzung. Gemessen an dem, was seinerzeit am Anfang der Diskussion gestanden habe, sei man „gar nicht so unzufrieden“ mit dem Ergebnis. Man warte aber auf die Anwendung: Es sei ein „tolles Modell mit dem gebündelten Bedarfsverkehr und dem Linienbedarfsverkehr“ aufgelegt worden, doch funktioniere die Umsetzung aus verschiedensten Gründen nicht – unter anderem, weil verschiedene Partikularinteressen wieder auftauchen, etwa von öffentlichen Verkehrsbetrieben.
Auch hätten einige Entscheidungsträger noch immer die Vorstellung, Parallelflotten zum Taxi- und Mietwagengewerbe aufzubauen. Damit nehme man dem Taxi die Fahrgäste weg und zerstöre vorhandene Strukturen, etwa bei den vom Taxi- und Mietwagengewerbe durchgeführten 85 Prozent aller Krankenfahrten. Der Bedarf hierfür werde steigen, da die Bevölkerung im Durchschnitt älter werde. Wenn aber die im Bundesrecht geschaffenen Möglichkeiten nur von Investoren genutzt werden, um Geld abzugreifen, seien die Neuerungen nichts wert. Es sei an der Politik, diese Verzahnung „irgendwie hinzukriegen“; das Taxigewerbe könne nur darauf aufmerksam machen. Ein weiteres Problem: Würden etwa im Zuge der aktuell vorgeschlagenen Gesundheitsreform kleinere Krankenhäuser auf dem Land geschlossen, so würden Fahrwege für ambulante Patienten entstehen, die der On-Demand-Verkehr nicht abwickeln könne. Auch könne man Dialysepatienten keine Rundreisen zumuten.
Erneut mahnte der BVTM-Präsident die Politik zum Handeln: „Sie müssen alles dransetzen, um die Zerstörung dieser Strukturen zu verhindern, und müssen sich notfalls auch mal mit den Betrieben anlegen […] Hier muss einfach wieder Vernunft einziehen“, so Kollar. ar
Fotos: Axel Rühle