Wenn es um Kürzungen im Schadenfall geht, sind die Versicherer kreativ. Besonders beliebt sind Kürzungen bei der fiktiven Abrechnung nach Gutachten oder einem Kostenvoranschlag. Das Argument lautet immer wieder: „Die Kosten sind nicht angefallen.“ Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 23.05.2017 (Az.: VI ZR 9/17) jetzt – zumindest bei Taxis – für Klarheit gesorgt.
Das Taxi des Geschädigten erlitt im August 2013 einen Unfall. Die Haftung des Unfallgegners war eindeutig und der Geschädigte machte die Kosten der fiktiven Ersatzbeschaffung geltend. Das vom Geschädigten eingeholte Sachverständigengutachten bezifferte die Reparaturkosten auf ca. 4.600 Euro. Vergleichbare Fahrzeuge wären – allerdings ohne Taxiausrüstung – danach bereits für ca. 2.800 Euro brutto erhältlich gewesen; die Umrüstung zum Taxi hätte ca. 1.800 Euro extra gekostet. Der gegnerische Versicherer regulierte die Kosten der Ersatzbeschaffung. Die Erstattung der fiktiven Umrüstungskosten verweigerte er. Der Geschädigte verklagte daraufhin den Versicherer auf Zahlung der Kosten der fiktiven Umrüstung.
Das Amtsgericht Remscheid gab ihm in wesentlichen Punkten Recht; hinsichtlich der Umrüstungskosten wies es die Klage jedoch ab (Urteil vom 10.11.2015 – Az.: 8a C 85/14). Gegen dieses Urteil legte der Versicherer Berufung ein, das Landgericht Wuppertal kürzte einzelne Positionen und wies die Anschlussberufung des Geschädigten zurück (Urt. v. 15.12.2016 – Az.: 9 S 281/15). Es begründete seine Entscheidung damit, dass der Ersatz bei einem wirtschaftlichen Totalschaden auf den ermittelten Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) beschränkt sei. Da kein Gebrauchtwagenmarkt für Taxis bestehe, sei eine Wiederherstellung unmöglich und der Wiederbeschaffungswert sei der geeignete Maßstab für die Entschädigung. Zudem würde die Erstattung der Umrüstungskosten zu einer Entschädigung oberhalb von 130% des Wiederbeschaffungswertes führen und sei daher nicht erstattungsfähig. Dass das beschädigte Fahrzeug ein Taxi war, sei im Wiederbeschaffungswert bereits berücksichtigt. „Die Umrüstungskosten seien vielmehr nach allgemeiner Lebenserfahrung als abgeschrieben anzusehen.“
Der Geschädigte ging hinsichtlich Umrüstkosten in die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH). Der BGH pflichtete dem Landgericht grundsätzlich bei, dass bei einer fiktiven Ersatzbeschaffung nur die Wiederbeschaffungskosten zu ersetzen seien. Allerdings heißt es in der Begründung: „Dabei hat es [das Landgericht] jedoch dem Begriff des Wiederbeschaffungswertes eine falsche Bedeutung beigemessen.“ Der BGH betonte, der Geschädigte könne gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB den Geldbetrag verlangen, der erforderlich sei, um den früheren Zustand herzustellen. Es stehe ihm frei, ob er sich für diesen für eine Reparatur oder die Anschaffung eines (gleichwertigen) Ersatzfahrzeugs verwende. Abgesehen davon, sei er aber weder zur Reparatur noch zur tatsächlichen Ersatzbeschaffung verpflichtet. Weiter heißt es, der Anspruch sei nicht auf die Wiederherstellung der beschädigten Sache beschränkt. Das Ziel des Anspruchs „besteht in umfassender Weise gemäß § 249 Abs. 1 BGB darin, den Zustand herzustellen, der, wirtschaftlich gesehen, der ohne das Schadensereignis bestehenden Lage entspricht“ Aus Sicht des Geschädigten sei eine wirtschaftliche Gleichwertigkeit jedoch nur gegeben, „wenn das Ersatzfahrzeug das beschädigte Fahrzeug in seiner konkreten, ihm vom Geschädigten in objektiv nachvollziehbarer Weise zugedachten und wirtschaftlich relevanten Funktion ersetzen kann.“ Konkret: Das Ersatzfahrzeug müsste ohne weiteres als Taxi einsetzbar sein. Maßgeblich sei daher „der – bei Fehlen eines funktionierenden Marktes unter Umständen höhere – Preis, den der Geschädigte beim Kauf eines gleichwertigen Fahrzeugs aufwenden müsste“, der die Umrüstungskosten einschließt. Bestimmte Ausstattungsmerkmale und Sonderfunktionen seien nur dann zu berücksichtigen, wenn sie auch auf dem Markt objektiv werterhöhend wirkten – auf dem gewöhnlichen Gebrauchtwagenmarkt sei dies hinsichtlich der Taxieigenschaft fraglich.
Zusätzlich kam dem Unternehmer zugute, dass es bei der Umrüstung „ um den Einbau von durch Rechtsverordnung (§§ 25 ff. Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrt Unternehmen im Personenverkehr [BOKraft] (…) ) vorgeschriebenen besonderen Ausrüstung- (§ 25 Abs. 2 BOKraft: Alarmanlage, § 28 BOKraft: Fahrpreisanzeiger) und Beschaffenheitselementen (§ 26 Abs. 1 BOKraft: hell-elfenbein-farbiger Anstrich, Taxischild). Ohne diese Elemente könnte das (fiktive) Ersatzfahrzeug das Unfallfahrzeug in dessen wesentlicher, gerade erwerbswirtschaftlich bedeutsamen Funktion nicht ersetzen, (…). Die Umrüstung macht die Naturalrestitution damit überhaupt erst möglich.“
Da das Landgericht sich (aus seiner Sicht folgerichtig) nicht mit der Erforderlichkeit der Umrüstungskosten befasst hatte und auch keine Erwägungen zum Abzug unter dem Gesichtspunkt „neu für alt“ vorlagen, war dem BGH eine eigene Entscheidung versagt und er musste die Angelegenheit an das Landgericht zurückverweisen. Diesem gab er auf, sich mit der Frage der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit der Umrüstkosten zu befassen.
Kanzlei Voigt Praxistipp
Dass Versicherer Positionen nach Schema „F“ zurückweisen, ohne auf Besonderheiten des Falles einzugehen, ist normal. Dies führt immer wieder dazu, dass Ansprüche, die aufgrund der Fahrzeugbesonderheit bestehen, vor Gericht durchgesetzt werden müssen. Um nicht auf Ansprüche zu verzichten, empfiehlt sich die frühe Einschaltung eines Rechtsanwalts. Die Rechtsanwälte der ETL Kanzlei Voigt stehen Ihnen mit Rat und Erfahrung gerne zur Seite.
von Rechtsanwalt Dr. Wolf-Henning Hammer und Rechtsanwältin Anita Ciszewski, Kanzlei Voigt Rechtsanwalts GmbH, Dortmund, www.kanzlei-voigt.de