Eine Bürgerinitiative, die Berlinern nur noch sechs private Autofahrten pro Jahr in der City erlauben will, verschreckte letztes Jahr im Wahlkampf die Autofahrer. Jetzt hat sogar der rot-grün-rote Senat dem Vorhaben einen Dämpfer erteilt.
Der von der Bürgerinitiative seit 2019 geforderte Gesetzentwurf sei „mit unverhältnismäßigen Eingriffen in die allgemeine Handlungsfreiheit“ verbunden – so hat es die Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport (SenInnDS) in einem Schreiben an die Initiative formuliert, aus dem der „Tagesspiegel“ zitiert.
Nach der Prüfung der Zulässigkeit des Volksbegehrens habe die Innenverwaltung unter Iris Spranger (SPD) das Ergebnis am 4. Mai an die Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz (SenUMVK) geschickt, die fachlich zuständig ist. Die Verkehrsverwaltung unter Bettina Jarasch (Bündnis 90/Grüne) werde einen Beschlussvorschlag für den Senat erarbeiten, sodass dieser innerhalb von 15 Tagen, so die vorgeschriebene Frist, über seinen Standpunkt zum Volksbegehren beschließen könne. Das könnte noch im Mai passieren.
Die Initiative „Berlin autofrei“ will den privaten Kraftverkehr innerhalb des S-Bahn-Rings nahezu abschaffen. BVG-Busse, Taxis, Rettungswagen, Polizei- und Postautos, Müllwagen sowie andere öffentliche Fahrzeuge, Fahrräder, Pferdekutschen und E-Scooter sollen weiterhin uneingeschränkt fahren dürfen. Doch der private Autoverkehr würde künftig als Sondernutzung gelten. Die „Berliner Zeitung“ schreibt: „Ab 2027 sollen innerhalb des S-Bahn-Rings pro Person nur noch zwölf, später sechs private Fahrten pro Jahr zulässig sein […]. Wer sich nicht an die Regeln hält, muss Geldbußen von bis zu 100.000 Euro zahlen und darf bis zu fünf Jahre lang gar nicht mehr privat in der City fahren.“
Da der öffentliche Verkehr nicht von dem Verbot betroffen wäre, hätten Taxis keine Einschränkungen hinzunehmen, sondern eher eine größere Nachfrage und ein schnelleres Durchkommen zu erwarten. Carsharing- und Mietwagen dagegen sollen so behandelt werden wie Privat-Pkw. In den FAQ heißt es blumig: „Carsharing ist weiterhin möglich, zum Beispiel wenn Du mal raus ins Grüne willst. Oder wenn Du das Urlaubsgepäck gern direkt vor der Haustür in den Kofferraum laden möchtest. Oder wenn Du umziehst oder etwas Schweres oder Sperriges transportieren willst. Doch wir wollen nicht, dass Berlin einfach mit Carsharing-Autos zugeparkt wird. Deshalb haben alle bis zu zwölfmal im Jahr die Möglichkeit, für solche Fahrten ein Auto zu nutzen. Die Sondererlaubnis für den entsprechenden Tag kann unkompliziert und schnell online abgerufen werden. Ob die Fahrt mit einem Mietwagen oder Carsharing, mit einem von Freund*innen ausgeliehen Auto oder mit dem eigenen Auto durchgeführt wird, bleibt allen selbst überlassen.“
Mit anderen Worten: Sowohl für Carsharing-Autos von Sixt-Share, We Share, Share Now, Miles und sonstigen Anbietern als auch für die Mietwagen der Partner von Uber, Free Now, Bolt usw. gilt nach Vorstellung der Initiatoren: nur zwölf Fahrten pro Jahr, später sechs.
Nina Noblé, die Sprecherin der Initiative, sagte zur jetzt bekannt gewordenen Bewertung durch den Senat: „Unser Gesetz haben viele erfahrene Jurist:innen erarbeitet, geprüft und verbessert. Es ist nicht nur verhältnismäßig, sondern dringend notwendig, dass wir den Autoverkehr in Berlin deutlich reduzieren“. Dem „Innensenat“ scheine „der politische Wille und Mut zu fehlen, diese Probleme ernsthaft zu lösen. Aber sollte der Senat uns vor das Landesverfassungsgericht schicken, scheuen wir diesen Weg nicht.“
Die grün geführte Verkehrsverwaltung, bei der die Initiative offene Türen einrennt, da auch Verkehrssenatorin Jarasch bemüht ist, den Autoverkehr, vor allem Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, zurückzudrängen, hatte zu dem Thema ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Die Berliner Rechtsanwaltskanzlei Geulen und Klinger kam zu dem Ergebnis, dass der Gesetzentwurf keine „Verstöße gegen das Recht der Europäischen Union, die Verfassung von Berlin oder sonstiges Bundesrecht, insbesondere die Straßenverkehrsordnung“ beinhalte und „formell mit dem Grundgesetz vereinbar“ sei, jedoch Probleme mit der Verhältnismäßigkeit aufwerfe. „Die relativ eng formulierten Ausnahmeregelungen des Gesetzentwurfes lassen Zweifel, ob die Schwelle der Verhältnismäßigkeit noch gewahrt ist“, so der Autor Remo Klinger, Jura-Professor an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Es könne aber „noch möglich sein“, die im Gesetz vorgesehenen Ausnahmeregelungen „grundrechtskonform zu interpretieren“.
Klinger argumentiert, auch andere Regelungen, die mit Grundrechtseingriffen verbunden gewesen seien – wie etwa Umweltzonen und Dieselfahrverbote – hätten richterliche Zustimmung gefunden, und dies lasse sich – nicht zwingend, aber nach Wertung möglicherweise – auf das Ziel, das Autofahren in der Innenstadt stark einzuschränken, übertragen.
Die Bürgerinitiative hatte vor der Wahl 2021 über 50.000 Unterschriften gesammelt – 30.000 mehr als nötig – und der Innenverwaltung übergeben, um die Einleitung eines Volksbegehrens zu beantragen. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung dürfte noch viel Zeit vergehen. ar
Beitragsfoto: Zu wenig Platz für Privat-Autos oder immer noch zu viel? Foto: Axel Rühle