Rechtsanwalt Thomas Grätz hat im Rahmen der Conference Days 2023 zum Thema On-Demand-Verkehre referiert. Sein Fazit: Das Taxigewerbe muss sich jetzt holen, was ihm zusteht.
Schon im Kurz-Exposé zum Vortrag steckte eine Aufforderung: „Mit der Novelle des Personenbeförderungsgesetzes 2021 wurden neue Verkehrsformen möglich, die auch Taxi- und Mietwagenbetrieben neue Geschäftsfelder eröffnen. Wenn sie die nicht verschlafen, werden sie Teil des mit öffentlichen Geldern geförderten öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV).“
Seit dem 1. August 2021 bietet das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) neue Möglichkeiten zum Ausprobieren von Personenbeförderungsarten, aus denen sich auch neue Chancen für engagierte Taxi- und Mietwagenbetriebe, vor allem im ländlichen Raum, ergeben haben. Die PBefG-Novelle war nach Grätz’ Urteil tatsächlich eine revolutionäre Novelle, denn von den 65 Paragraphen ist fast die Hälfte „angepackt“ worden und acht neue Paragraphen sind neu eingeführt worden, mit denen gute Ideen umgesetzt worden seien. Die Neuerungen fasste Grätz, der lange Zeit Geschäftsführer des Bundesverbandes BZP (heute BVTM) war und heute den abgespaltenen Verband TMV berät, noch einmal sehr übersichtlich zusammen:
Mit dem Gebündelten Bedarfsverkehr ist eine neue Verkehrsform eingeführt worden, die Grätz als stark reguliert bezeichnet. Mit dem Linienbedarfsverkehr ist eine neue Verkehrsart eingeführt worden, die im Vergleich dazu schwächer reguliert sei. Für Mietwagen ist die Möglichkeit für Genehmigungsbehörden geschaffen worden, tarifbezogene Mindestentgelte festzulegen, was besonders diskutiert werde. Für Taxis sind seit der Novelle mehr Festpreise möglich: Neben bisher schon zugelassenen Festpreisen für definierte Fahrten, etwa vom Flughafen zum Messegelände, sind nun zwei neue Arten möglich: Festpreise ausschließlich für vorbestellte Fahrten sowie Tarifkorridore mit festgesetzten Unter- und Obergrenzen, zwischen denen Fahrpreise je nach Länge der Fahrt ausgehandelt werden können.
Mit der Einführung der Mobilitätsdatenbereitstellungspflicht (MDV) war der Gesetzgeber in Grätz’ Augen sehr modern. Die Idee dahinter sei die, dass sämtliche Verkehre im PBefG ihre Daten an einen zentral gesteuerten Server abgeben – eine große Erleichterung für Verkehrssysteme, die unter anderem die Überprüfbarkeit von Pflichten wie die Rückkehrpflicht für Mietwagen kontrollierbar mache. Allerdings sei diese Pflicht aufgrund fehlender Bußgeldbewehrung in der Praxis „noch nicht angekommen“, wie Grätz auf Nachfrage einschätzte. Das Sprichwort „Wo kein Kläger, da kein Richter“ sei hier passend.
Erstmals sind auch die Vermittler „im PBefG angekommen“, von denen es zwei Arten gibt:
a) organisatorisch verantwortliche Vermittler wie Uber & Co., die einer Genehmigungspflicht und weiteren Pflichten aus dem PBefG unterliegen, wenn sie dem Kunden gegenüber als Vertragspartner auftreten und ihre Partner nur die Fahrten ausführen;
b) reine Vermittler, also Taxizentralen, die im Unterschied dazu keine Genehmigung benötigen, und für die einzelne Pflichten festgesetzt werden können – von denen bisher lediglich die MDV greife.
Auf die Zwischenfrage aus der Taxi-Times-Redaktion, was er vom Bescheid aus Hamburg halte, nach dem Free Now Kategorie b statt a zugeordnet wird, bezeichnete Grätz die Entscheidung – ähnlich wie schon sein Kollege Herwig Kollar – als „relativ bedenklich“, denn dem Kunden sei im Zweifel nicht klar, wer Vertragspartner ist.
Als weitere wichtige Neuerungen nannte Grätz
– die bis heute noch nicht eindeutig bestimmte Fachkunde für das Fahrpersonal,
– die Ordnungsnummernschilder für Mietwagen (blaue Ordnungsnummernschilder) und Fahrzeuge des gebündelten Bedarfsverkehrs (grüne Ordnungsnummernschilder),
– den Klimaschutz, der Landesbehörden das Aufstellen von Emissionsvorgaben ermöglicht,
– das Barrierefreiheitsziel, das Landesbehörden das Aufstellen von Vorgaben zu einer Quote barrierefreier Fahrzeuge im Fuhrpark einzelner Unternehmen ermöglicht,
– die Aufnahme von Taxis in das Regionalisierungsgesetz, die dem Gewerbe grundsätzlich Subventionierungsmöglichkeiten eröffnet.
Als Hinweis merkte Grätz an, dass nicht nur das Fehlen der Bußgeldbewehrung im Gesetz dafür sorge, dass nicht alle der neuen Regelungen bereits in der Praxis angekommen seien. Er sprach einen Appell an etwaige Zuhörer aus Genehmigungsbehörden aus: Das Gesetz habe unter der großen Leitlinie gestanden, möglichst viel der bundesgesetzlichen Maßgaben mehr und stärker der Organisation der Länder und vor allem der Genehmigungsbehörden zu übertragen. Mitarbeiter dieser Behörden sollten sich angesprochen fühlen, dabei aktiv mitzuwirken. Mit den Möglichkeiten, die das Gesetz ihnen in vielen Bereichen gegeben hat, seien die Genehmigungsbehörden nun wesentlich stärker aufgestellt. Diese sollten nun auch genutzt werden, um die Systematik der einzelnen Verkehrsformen und -arten im Gleichgewicht zu halten – Stichwort Level Playing Field. Hier sei eine starke Waffe in die Hände der Genehmigungsbehörden gelegt worden, die bisher unzureichend genutzt werde.
Im zweiten Teil seines Vortrags vertiefte Grätz die Verkehrsart des Linienbedarfsverkehrs, der laut Paragraph 44 PBefG zum Pooling (Sammeln) im ÖPNV vorgesehen ist. Der Gesetzgeber habe in erster Linie den Einsatz von Bussen und Kleinbussen gemeint, denkbar und erlaubt seien aber auch Pkw. Ein wichtiges Merkmal des Linienbedarfsverkehrs sei die Gemeinwirtschaftlichkeit, die auf einen Zuschnitt auf Verkehrsunternehmen mit großen „Gefäßen“ hindeute, was aber auch „normale“, nicht subventionierte Unternehmen mit kleinen Fahrzeugen nicht abschrecken sollte, einen Linienbedarfsverkehr zu beantragen, denn auch ein eigenwirtschaftlicher Betrieb sei erlaubt.
Per Definition erfordern die Fahrtwünsche eines Linienbedarfsverkehrs Vorbestellungen, die es zu sammeln (zu poolen) gelte. Wichtig sei, dass er nur „innerhalb eines im Nahverkehrsplan ausgewiesenen Gebietes innerhalb bestimmter Bedienzeiten, aber ohne Fahrpläne“ ausgeführt werden soll. Für ihn gelten Beförderungs-, Betriebs und Tarifpflicht, da er ein Linienverkehr ist. Auch darf er keine öffentlichen Verkehrsinteressen beeinträchtigen, ansonsten ist die Genehmigung zu versagen.
Der Fahrdienstanbieter Moia hat seinen Verkehr in Hamburg nach Paragraph 44, also als Linienbedarfsverkehr genehmigen lassen.
Auf Zuhörernachfrage ergänzte Grätz, dass die Genehmigung eines Linienbedarfsverkehrs die Verankerung der Möglichkeit dazu im Nahverkehrsplan voraussetzt.
Im dritten Teil vertiefte Grätz die Verkehrsform des Gebündelten Bedarfsverkehrs. Im Unterschied zum Linienbedarfsverkehr handelt es sich beim Gebündelten Bedarfsverkehr nach Paragraph 50 PBefG um einen Sammelverkehr außerhalb des ÖPNV, weshalb hierfür ausschließlich Pkw eingesetzt werden dürfen. Er darf grundsätzlich nur innerhalb der Betriebssitzgemeinde ausgeübt werden, es sei denn, die Aufgabenträger und Genehmigungsbehörden einigen sich über eine Ausnahme. Ein weiterer Unterschied ist die Eigenwirtschaftlichkeit, d. h., er muss sich aus den Fahrpreiseinnahmen finanzieren. Auch er bedient nur den (Vor-)Bestellmarkt, so dass ein Bereithalten ausscheidet. Als besonderes Merkmal unterliegen die Gebündelten Bedarfsverkehre (zumindest im Stadt- und Vorortverkehr) einer Bündelungsquote (Grätz spricht von einer Art Belegungsrate), die von der Genehmigungsbehörde zwingend festzulegen ist (was nach Grätz’ Kenntnis bisher noch nirgends geschehen ist). Wird die Quote in der Praxis nicht erreicht (was allerdings schwierig nachzuweisen sein dürfte), so kann die Genehmigung widerrufen werden. Außerdem muss die Genehmigungsbehörde einen Mindesttarif festsetzen. Sie kann darüber hinaus räumliche und zeitliche Beschränkungen festlegen, die Zahl der Konzessionen kontingentieren und Vorgaben zu Rückkehrpflicht, Barrierefreiheit und Emissionen definieren, unter anderem, um den ÖPNV einschließlich Taxigewerbe zu schützen.
In Hannover hat Moia seinen Verkehr – anders als in Hamburg – nach Paragraph 50, also als Gebündelten Bedarfsverkehr, genehmigen lassen, wie der dortige Zentralenchef Wolfgang Pettau auf eine Zuschauerfrage antwortete. Kommentar von Thomas Grätz: „Möglicherweise versuchen die das einfach mal beides auszutesten. […] Interessante Information.“
Als besonders attraktiv bezeichnete Grätz das sogenannte Triple-Modell, das in Gemeinden bis 50.000 Einwohner aufgrund der Anpassung des Paragraphen 46 Abs. 3 PBefG möglich ist: Besonders im ländlichen Raum und in Randbereichen von Städten mit geringer Nachfrage nach Taxis könne es ein wirtschaftlich interessantes Geschäftsmodell sein, Taxi-, Mietwagen- und Gebündelten Bedarfsverkehr abwechselnd mit ein und demselben Auto anzubieten.
Eine hoffnungsvolle Neuerung für das Taxigewerbe ist eine Änderung im Regionalisierungsgesetz (RegG), wie das PBefG ein Bundesgesetz: Wenn das Taxi die Verkehrsnachfrage zur Beseitigung einer Unterversorgung befriedigt, kann es in den Genuss von Regionalisierungsmitteln kommen. Das sind Gelder des Bundes zur Bezuschussung des ÖPNV, der im Unterschied zum Fernverkehr ein Zuschussgeschäft ist und von den Ländern bezahlt wird. Da die Länder das Geld an die Aufgabenträger weitergeben, empfiehlt Grätz Antragstellern die Kontaktaufnahme mit denen, um nach Möglichkeiten einer Subventionierung zu fragen.
Wichtig könnte diese Möglichkeit nach Grätz’ Einschätzung auch im Zusammenhang mit dem „Deutschland-Ticket“ werden, auch, wenn die erste Lesung (zum 49-€-Ticket ab 1.5.) abgeschlossen ist und trotz großer Anstrengungen der Verbände, das Ticket im ländlichen Bereich auch auf das Taxi auszuweiten, da die letzte Meile oft nur mit dem Taxi bedient werden kann, zunächst keine Regionalisierungsmittel für das Taxigewerbe vorgesehen sind. Die Bundesregierung sehe eher die Länder in der Verantwortung.
Grätz resümierte, insgesamt sei betreffs der neuen Möglichkeiten des PBefG noch nicht viel passiert. Er ermunterte Taxiverbände und -unternehmer, Aufgabenträgern und Verkehrsbetrieben Konzepte vorzulegen und Behörden zu informieren. Gefragt seien besonders die Landesverbände. Er schloss mit einem freien Zitat von Zeichentrickfilm-Legende Walt Disney, das er der PBefG-Situation anpasste: „Um loszulegen, ist es nötig, jetzt mit dem Nachdenken aufzuhören, jetzt mit dem Reden anzufangen und mit dem Handeln anzufangen.“ Damit wolle er die Zuhörer ermutigen: Es könne die Rettung für manchen Betrieb sein. Das Gewerbe werde sicherlich offene Türen finden, wenn Konzepte geeignet seien, die Mobilität in den ländlichen Bereichen und an den Rändern von Städtern zu verbessern. „Ich kann nur empfehlen: Bitte gehen Sie zu Behörden, zu Aufgabenträgern! Und wenn Sie Subunternehmer werden wollen, nehmen Sie Kontakt auf mit dem großen Verkehrsbetrieb!“ ar
Beitragsbild: Collage aus Screenshots des Vortrags von Thomas Grätz im Rahmen der Conference Days