Dieser Beitrag wurde am 23.6.21 aktualisiert (siehe unten)
Um die Auswirkungen der PBefG-Novelle auf Ostdeutschland einschließlich Berlin ging es im Webinar „Was bringt das PBefG“ diese Woche Montag. Hierbei kamen elementare Unterschiede zwischen Großstadt und dünn besiedelter Region zur Sprache.
Auch diesmal nahmen Herwig Kollar, Präsident des Bundesverbandes Taxi und Mietwagen e. V. (BVTM), und Thomas A. Sell, Leiter Kooperationsentwicklung Verbände und Organisationen der Telekom Deutschland GmbH, teil, um über überregionale Aspekte der Gesetzesnovelle und über Kooperationen der Branche mit Industrie und Verwaltung zu informieren.
Moderator Dominik Eggers führte ein und erinnerte daran, dass nicht nur Uber, sondern auch andere Anbieter wie neuerdings Bolt, künftig auf dem Markt mitmischen würden. In ländlichen Regionen sei man von solchen großstädtischen Problemen aber weit entfernt. Hier bestehe eine Grundherausforderung darin, flächendeckende Personenbeförderung überhaupt zu ermöglichen.
Ein recht düsteres Zukunftsbild für die Taxibranche der Bundeshauptstadt malte (ab Minute 3:50) Richard Leipold, Erster Vorsitzender der Berliner Taxivereinigung e. V. (BTV). Ein großes Problem resultiert seiner Einschätzung nach aus dem kleinen Wörtchen „kann“ in den Paragraphen 51 und 51 a des novellierten Personenbeförderungsgesetzes (PBefG). So geben einzelne Kann-Bestimmungen den Genehmigungsbehörden die Möglichkeit, Kontingentierungen und Tarifkorridore festzulegen.
Hamburg werde aufgrund seiner funktionierenden Politik und funktionierender Genehmigungsbehörden damit geringe Schwierigkeiten haben. In Berlin mit seiner „unwilligen“ Behörde sehe es jedoch ganz anders aus: Egal, wie viele Prozesse man gewinne und wie viele Rechtsverstöße durch digitale Plattformanbieter man belege, die Zahl der Mietwagen wachse unaufhörlich und werde demnächst die Zahl von 5.000 erreichen.
„Das Wort ‚kann’ macht uns also erhebliche Schwierigkeiten, weil es bedeutet, dass die Genehmigungsbehörden nicht verpflichtet sind, bestimmte Maßnahmen einzuleiten, die notwendig wären, um das Überleben des Taxengewerbes zu gewährleisten“, so Leipold. Der Hauptgrund für den Erfolg der Plattformanbieter liegt nach Leipolds Ansicht darin, dass sie das Taxigewerbe systematisch preislich unterbieten – was bei weitgehender Einhaltung rechtlicher Regeln wie Umsatzsteuergesetz und Arbeitsrecht gar nicht möglich sei (was er anhand einer Beispielrechnung belegt hat, die in der kommenden Printausgabe der Taxi Times Berlin behandelt wird). Die Angebote der Plattformanbieter könnten folglich nicht im Rahmen der Legalität liegen.
Als Folge rechnet Leipold mit dem Verschwinden des über 100 Jahre alten Taxigewerbes. Seine Konkurrenzunfähigkeit resultiere nicht aus der Corona-Krise, sondern sei ein strukturelles, systemisches Problem. Durch die Vorteile gegenüber dem Taxigewerbe – nicht vorhandene Betriebspflicht, Beförderungspflicht und Tarifpflicht – würden die Plattformanbieter das Taxigewerbe weiterhin durch Rosinenpickerei kannibalisieren, um sich nach dessen Verschwinden vom Markt einen erbitterten Konkurrenzkampf zu liefern.
Die PBefG-Novelle sei somit nicht unbedingt als Fortschritt anzusehen, sondern bedeute in Berlin eher den Todesstoß des Taxigewerbes. Der Grund: Die hiesige Genehmigungsbehörde, das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) wäre in der Lage, zu sehen, was in Berlin passiert, doch sei der Wille, darauf zu reagieren, leider nicht erkennbar. Leipold zitierte den Oberbürgermeister einer westdeutschen Stadt, wenn man die Landesgrenze nach Berlin überschreite, verlasse man den funktionierenden Teil Deutschlands. Dass dieses Nichtfunktionieren nur am fehlenden Willen der Verwaltung bzw. der Politik liegt, zeige das Beispiel Hamburg, wo das Mietwagengewerbe funktionierend unter Kontrolle gehalten werde.
Dass die PBefG-Novelle dünn besiedelten, ländlichen Regionen gänzlich andere Probleme bereitet als einer Großstadt, erläuterte (ab Minute 9:25) Martin Kammer, Hauptgeschäftsführer des Landesverbandes Thüringen des Verkehrsgewerbes e. V., der auch das Taxigewerbe von Sachsen-Anhalt vertritt. In beiden Bundesländern gibt es nur jeweils zwei Großstädte, und dünner besiedelt sind nur Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg.
Kammer sieht in der Novelle sowohl Chancen als auch Risiken. Als Chance nennt er, dass das Taxi weiterhin seinen Platz im PBefG hat. Für ländliche Regionen sei dies wichtig, da die Branche seit der Einführung des Mindestlohns häufig Unterrepräsentanz habe, da es sich zu nachfrageschwachen Zeiten nicht mehr lohne, Dienste überhaupt anzubieten. Die vom Gesetzgeber geschaffene Möglichkeit, Regionalisierungsmittel aufzulegen, sei von daher begrüßenswert: Angesichts des steigenden Mindestlohns bzw. dem, was bestimmte Parteien diesbezüglich fordern, müsste man theoretisch Kilometerpreise von 2,70 oder 2,80 Euro verlangen, was eine sinkende Nachfrage absehbar mache. Das mache Fördermittel nötig, damit Taxi- und Mietwagnunternehmer sich nicht selbst ausbeuten müssen.
Auch begrüßt Kammer es, dass Taxis künftig Festpreise vereinbaren können, etwa bei Verbindungen von und zu Bahnhöfen und Flughäfen oder auch generell bei bestellten Fahrten mit vorab bekannter Streckenlänge, damit man Kunden Preissicherheit bieten kann – ohne dass die Preise unter dem normalen Tarif liegen müssen.
Als Nachteil sieht er dagegen Tarifkorridore. Nicht alle Genehmigungsbehörden ziehen laut Kammer mit dem Gewerbe an einem Strang, sondern arbeiten in etlichen Landkreisen und kreisfreien Städten eher gegen das Gewerbe. Das lasse die Einführung von Mindest- oder Höchstpreisen eher als Risiko für die Unternehmen erscheinen.
Es bleibe zu hoffen, dass die Genehmigungsbehörden im Einzugsbereich des Verbands zunehmend an einem Strang mit der Branche ziehen. Würden Betriebe keine Gewinne mehr erwirtschaften, seien immer weniger Unternehmer bereit, ihr Geschäft weiter zu betreiben, und es würden auch keine neuen hinzukommen. Somit sei – wenn auch aufgrund anderer Ursachen – auch auf dem Land das Taxigewerbe bedroht. Ohne Taxi sei Mobilität im ländlichen Raum wiederum nicht mehr für alle verfügbar. Würden Angebot und Nachfrage den Markt bestimmen, wären nicht mehr alle Bewohner mobil.
Ein weiteres Risiko sieht Kammer bei den Krankenkassen, die Preisgrenzen in irgendeiner Form ausnutzen und diejenigen Taxibetriebe, die nicht in Verbänden organisiert sind, gegeneinander ausspielen könnten. Selbst zu solchen Unterbietungswettbewerben seien einige Kollegen bereit.
Dritter Referent (ab Minute 16:12) war Telekom-Koordinationsleiter Thomas Sell, der seit 16 Jahren erfolgreich Innovationen im Taxigewerbe mittels Industriepartnerschaften voranbringt, was sich derzeit am Beispielprojekt Zukunftstaxi Hamburg zeigt.
Sell bezeichnet es als wichtig, dass Veränderung als Chance gesehen werden muss. Am Beispiel Hamburg zeige sich, warum solche Kooperationen gut laufen können: weil die Industrie mit Politik, Behörden und der Taxibranche das Projekt gemeinsam auf die Beine gestellt haben, in dem Fall, um die Taxiflotte zu elektrifizieren. Man müsse die Politik bundesweit dazu bringen, Fördertöpfe aufzumachen. Welche Chancen er hier für die nächsten Jahre sieht, hatte Sell bei einem vorherigen Vortrag bereits erläutert.
BVTM-Präsident Herwig Kollar resümierte (ab Minute 35:50) den Werdegang der PBefG-Novelle, sie sei ein harter Kampf gewesen, und dankte allen, die beteiligt waren, insbesondere den Berliner Kollegen, für ihr Engagement. Die Änderungen, die das erneuerte Gesetz bringt, erläuterte er erneut anschaulich mit Präsentationsfolien wie bereits am 7. Juni. Kollar bezweifelt die Möglichkeit, Taxameter und Wegstreckenzähler durch praxistaugliche, App-basierte Systeme adäquat zu ersetzen, da er dies mit dem Eichrecht für unvereinbar hält. ar
Hier die Aufzeichnung des Webinars:
Aktualisierung am 23.6.2021: Der BVTM hat seine Webinar-Reihe zur PBefG-Novelle in vier Regionen aufgeteilt. Zu allen vier Webinaren gibt es eine inhaltliche Zusammenfassung sowie ein Veranstaltervideo.
Schwerpunkt Nord: BVTM informiert zum PBefG (zum Video)
Schwerpunkt West: mit Video und Links auf einzelne PBefG-Erläuterungen
Schwerpunkt Ost: Verhängnisvolle Kann-Regelungen (zum Video)
Schwerpunkt Süd: Gebündelter Bedarfsverkehr als Chance, Tarifkorridor vs. Eichrecht (zum Video)
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