… aber sie kommt nicht, kommt nicht, kommt nicht. Unser Redakteur und praktizierender Taxiunternehmer Remmer Witte hatte den Song der Gruppe DÖF im Ohr, als er über die Impfpriorisierung für Taxifahrer*Innen nachgedacht hat, die nun just in dem Moment aufgehoben wird, als die Gruppe der Taxifahrer endlich an der Reihe gewesen wäre.
Wenn ich zukünftig schnell nach Hause will, rufe ich einfach bei allen mir bekannten Vermittlungszentralen an und ordere ein Taxi. Wer dann als erstes vorfährt, bei dem Taxi steige ich ein. Wenn ich noch Zeit und Lust habe, rufe ich aus dem Taxi aus die anderen Zentralen an und bestelle wieder ab. Ihr Problem, dass sie zu langsam waren.
Manchmal vergesse ich dabei aber auch den einen oder anderen der Vermittlungsdienste, dessen Fahrer*Innen haben dann Pech gehabt. Und wer nur ganz knapp auf dem zweiten oder dritten Platz landet, der hat dann mit der Leerfahrt eben besonderes Pech gehabt, denn ich kann ja schließlich nicht bei allen gleichzeitig mitfahren. Mit dieser Taktik bekomme ich immer schnellstmöglich mein Auto. Das ist doch eine gute Taktik, oder etwa nicht?
Wenn ich geimpft werden will, dann rufe ich eben einfach bei allen mir bekannten Impfzentren und Ärzten an und lasse mich dort auf die Warteliste setzen. Und dann nehme ich den ersten angebotenen Impftermin wahr. Wenn ich Zeit und Lust habe rufe ich dann aus dem Wartezimmer bei den anderen Ärzten und Impfzentren, die offensichtlich zu langsam waren an und sage meinen Wartelistenplatz dort wieder ab. Vielleicht vergesse ich dann noch den einen oder anderen, aber dort hat man dann eben Pech gehabt. Mit dieser Taktik komme ich schnellstmöglich zu einem Impftermin, also ist es eine gute Taktik (wenn ich denn geimpft werden möchte), oder?
Nein, dies ist keine gute Taktik, denn im ersten Fall riskiere ich wohl zu Recht verflucht zu werden, und auch im zweiten Fall verhalte ich mich einfach asozial. Im ersten Fall bekomme ich allerdings auch dann relativ zeitnah mein Taxi, wenn ich nur bei einer Zentrale anrufe. Und alternativ kann ich noch mal telefonisch nachfragen, wo mein Taxi bleibt: „Das Taxi Nummer vier ist in fünf Minuten hier“, wie es bei DÖF seit Jahrzehnten besungen wird.
Im zweiten Fall wirft sich dagegen die Frage auf, was die Alternative sein könnte. Ob es da wirklich Sinn macht, sich – je nach Bundesland – artig so lange zu gedulden bis meine Priorisierungsgruppe aufgerufen wird? Oder macht es mehr Sinn, meiner Hausarztpraxis solange auf den Keks zu gehen, bis man mich dort schon fast rausschmeißt?
Eigentlich wäre es ja ganz einfach. Wenn ich auf meine U-Bahn oder den Bus warte, ist heute an vielen Haltestellen ein Display zu finden, welches ausweist, wann die Bahn oder der Bus wohl eintreffen wird. Ok, das stimmt nicht immer exakt, aber immerhin so ungefähr und ich bleibe daher entspannt beim Warten. Als Zuhörer bei einer Ratssitzung habe ich mal einen Fachterminus dafür erlernt, er lautete „positives Warten“.
Nichts Anderes kennt man vom Schlachter oder von Behördenbesuchen, auch wenn man da vielleicht etwas weniger positiv wartet, wenn´s denn allzu schleppend vorangeht, auch hier bekommt man eine Nummer. Wenn ich allerdings auf die Impf-Warteliste im Netz schaue, bekomme ich gar keine Info. Ich habe eine Bestätigung, dass ich mich auf die Warteliste habe setzen lassen und weiß, dass dort sicherlich durchaus auch eine Position für mich hinterlegt sein wird, auf der ich mich jetzt befinde. Sie wird mir aber nicht mitgeteilt.
Es wäre wie gesagt ganz simpel: Könnte ich meine Impfkennung eingeben und sehen, dass ich heute Morgen auf Platz 1.430 stehe, weiß ich Bescheid. Morgen bin ich weiter vorgerückt, übermorgen weniger weit, aber es geht voran und ich bin zufrieden. Und selbst wenn ich dann morgen immer noch auf Platz 1.430 stehe weiß ich, dass am Tag zuvor offensichtlich wohl nicht geimpft wurde, weil nix zum Verimpfen da war.
Wenn ich aber einfach nur weiß, dass ich auf einer Warteliste stehe, dann platzt mir schon nach zwei Wochen fast der Kragen, wenn nichts weiter passiert. Und nun hat der Herr der Impfdosen verkündet, er und seine Mitstreiter seien in ihrer unendlichen Weisheit zu dem Ergebnis gekommen, dass Priorisierungen doch doof seien und sich nun in Kürze alle um einen Impftermin bemühen dürften. Jetzt platzt mir nicht nur der Kragen, ich habe auch das Gefühl, ich sei der letzte Depp, wenn ich nicht ganz schnell bei allen Praxen, die mir einfallen, anrufe und um einen Termin bettele. Besonders irritierend: Einen Grund nennt die Politik nicht, man vermittelt nur, einem vermeintlich bestehenden Druck nachgeben zu müssen. Welche Sorgen die Entscheider*innen hier wirklich quälen, bleibt Ihr Geheimnis, vermuten lässt sich da aber sicherlich Einiges.
Solidarität zu fordern fiel der Politik während der Pandemie nie schwer und vielfach war dies sicherlich auch durchaus begründet. Wenn diese Solidarität der Wartenden nun aber dazu führt, dass neben vielen anderen Priorisierten beispielsweise aus dem Lebensmitteleinzelhandel unter anderem auch die Taxifahrer*innen weitere Wochen oder sogar Monate auf ihre Impfung warten müssen, weil die Priorisierung just dann aufgehoben wird, wenn sie eigentlich endlich dran wären, dann fällt einem kaum noch eine Alternative zum „jeder gegen jeden“ ein.
Ich kann alle verstehen, die gern so schnell wie möglich ihren Schuss möchten. Diejenigen, die aus beruflichen Gründen keine Wahl haben, ob sie Kontakte meiden wollen oder nicht, sollten aber neben denjenigen, die gesundheitlich prädestiniert sind, die Chance bekommen, ebenfalls zeitnah ihr Impfangebot zu erhalten, bevor dann wirklich „alle“ dran sind. Und nicht nur bis dahin, sondern auch danach wäre ein „positives Warten“ allseits mehr als wünschenswert.
Im Ergebnis werden nun aber Millionen wider besseren Wissens und wider ihrem Solidaritätsgefühl genau das tun, was sie eigentlich doch verurteilen. Alle werden verzweifelt versuchen, irgendwo einen Impftermin zu bekommen, immerhin möchte man ja auch irgendwann in den Urlaub fahren. Und die wenigen, die da nicht mitmachen wollen, werden mitleidig belächelt.
Die traurige Konsequenz: Haus- und Facharztpraxen werden von Impfwilligen lahmgelegt, Absagen werden versäumt – das Impfchaos ist also eröffnet. Ich frage mich da, wie die Taxifahrer*innen es denn beim nächsten Mal ihren Kunden erklären sollen, warum solch unsolidarisches Handeln beim Impfen scheinbar richtig, bei der Taxibestellung aber nach wie vor falsch sein soll. rw
Beitragsfoto (Montage): Witte