Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, dass das Rückwärtsfahren in Einbahnstraßen grundsätzlich verboten ist. Diese Entscheidung lässt allerdings noch ein paar Fragen offen.
In einer viel zitierten Entscheidung hob der Bundesgerichtshof (BGH) Ende 2023 eine Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf (LAG) auf und stellte fest, dass das Rückwärtsfahren in Einbahnstraßen generell verboten ist. Lediglich das Rangieren sei erlaubt. Eine klare Lösung bietet diese Entscheidung allerdings nicht, sie wirft eher weitere Fragen auf, zumindest wenn Schwarz oder Weiß von den Verkehrsteilnehmern erwünscht wird.
Jeder, der schon mal am Steuer eines Taxis saß, kennt die Situation: Der Auftrag lautet: Beispielstraße 12. Bei der Haus-Nr.-Suche findet man die 10, man rollt also locker noch 20 Meter weiter, aber an dem nächsten Haus steht dann schon die 14, denn das Hinterhaus trägt nicht wie erwartet die Nr. 10A, sondern die 12. Ist die Beispielstraße aber nun eine Einbahnstraße, stellt sich die Frage, ob man die 20 Meter – natürlich nicht mit Schwung, sondern in Schrittgeschwindigkeit – zurücksetzen darf, oder ob man eine Runde drehen muss, da das Zurücksetzen in einer Einbahnstraße verboten ist. Und hier stellt der BGH jetzt eindeutig fest, dass zukünftig zwingend eine Ehrenrunde angesagt ist.
Wer zahlt aber, wenn ich – jetzt eindeutig illegal – 20 Meter zurücksetze und es dabei zum Zusammenstoß zwischen meinem Taxi und einem PKW kommt, der eben aus genau jener Einfahrt ausfährt. Obwohl er dabei auf mein Taxi aufgefahren ist, soll ich seinen daraus folgenden Schaden voll übernehmen?
So ein Fall ist bereits vor Gericht verhandelt worden. Im vorliegenden Fall hatte eine Autofahrerin in einer Einbahnstraße einige Meter zurückgesetzt, um einem am Straßenrand parkenden Fahrzeug das Ausparken zu ermöglichen. Anschließend wollte sie selbst die frei gewordene Parklücke nutzen. Beim Zurücksetzen kollidierte sie mit dem Fahrzeug eines Anwohners, der gerade aus einer hinter ihr liegenden Grundstückseinfahrt rückwärts in die Einbahnstraße stieß.
Die Versicherung der Frau bezifferte ihre Haftungsquote außergerichtlich auf 40 Prozent der Unfallkosten, 60 Prozent verblieben dem Anwohner. Dieser zog daraufhin vor Gericht, um auch den verbleibenden Schaden geltend zu machen, da er sich als komplett unschuldig ansah. Er vertrat die Ansicht, dass er nicht damit rechnen konnte, dass ein Fahrzeug sich entgegen der Einbahnregelung bewege und so seine Ausfahrt verhindere. Das Amtsgericht Düsseldorf gab ihm zunächst recht. Diese Entscheidung wurde jedoch vom Landgericht Düsseldorf aufgehoben und die Klage abgewiesen, denn das LAG Düsseldorf sah im Fahrverhalten der Autofahrerin keinen Verstoß. Das Rückwärtsfahren in der Einbahnstraße sei auf kurzer Strecke eine Behelfsmaßnahme und daher zulässig. Der Kläger habe damit rechnen müssen, dass ein Fahrzeug entgegen der Einbahn zurückstoßen könne.
Gegen dieses Urteil wandte sich der Mann und rief dazu den BGH an, der den Fall, obschon seiner grundsätzlichen Bedeutung, tatsächlich auch annahm. Der BGH kam zu einer neuen Einschätzung und hob das vorliegende Urteil des LAG Düsseldorf wegen Rechtsfehlern auf. Er verwies die Sache zurück an das LAG, welches sich nun zu einer neuen Entscheidung auf Basis der Hinweise des BGH wird durchringen müssen.
Der BGH stellt fest, dass das Rückwärtsfahren in einer Einbahnstraße nicht nur in der Regel, sondern mehr oder weniger generell verboten sei. Lediglich das Rangieren wie beispielsweise das unmittelbare Rückwärtseinparken sei gemäß der BGH-Entscheidung zulässig. Zum Rangieren zähle dabei auch das Rückwärtsfahren aus einem Grundstück auf die Straße. Diene das Rückwärtsfahren, genau wie in diesem Fall, dazu, zu einer frei werdenden Parklücke zu gelangen, sei dies wiederum unzulässig. Anstelle weiterer Begründungen verwies der BGH jedoch lediglich auf vorangegangene, gleichlautende Entscheidungen von Oberlandesgerichten und die bestehende Literatur.
Als Taxifahrer weiß man nun, dass man ein Knöllchen riskiert, wenn man zum gesuchten Haus zurücksetzt. Aber das wusste man wahrscheinlich auch schon vorher. Selbst wenn ein Rückwärtsfahrender dies in einer Einbahnstraße stets verbotswidrig tut, ist der aus seiner Ausfahrt zurückstoßende Anwohner deswegen noch lange nicht von seiner besonderen Aufmerksamkeitspflicht beim Rückwärtsfahren entbunden.
In dem ursprünglichen Ergebnis einer Haftungsteilung wird sich für den fraglichen Fall in der anstehenden LAG-Entscheidung nicht viel ändern, denn es werden voraussichtlich nur die Unfallkosten prozentual neu verteilt. Insofern wissen wir jetzt, dass jedes Zurücksetzen von mehr als einer Fahrzeuglänge in einer Einbahnstraße noch verbotener ist als dies zuvor schon der Fall war. Am Gebot zur gegenseitigen Rücksichtnahme im Verkehr ändert aber auch die Entscheidung des BGH nichts und das ist auch gut so. rw
Beitragsfoto: Einbahnstraße Collage: Remmer Witte