Nachdem die drei Taxis auf der kleinen Insel jahrzehntelang problemlos Fahrgäste beförderten und Gepäck transportieren, brachte dieses Jahr ein Bürokratieproblem den Betrieb beinahe zum Erliegen. Noch ist die Kuh nicht vom Eis.
Die winzige Nordsee-Doppelinsel Helgoland/Düne ist wie ein Mikrokosmos, in dem vieles anders funktioniert, auch das Taxigewerbe. Nach rund 40 Jahren hatte der örtliche Drei-Wagen-Betrieb dieses Jahr plötzlich ein Problem mit einer Ausnahmegenehmigung, das sich im September zu einem kaum überwindbar erscheinenden Problem mit der Genehmigungsbehörde auswuchs. Deren Mitarbeiterin sah eine von der eigenen Behörde ausgestellte Ausnahmegenehmigung zur Befreiung von der Tarif- und Taxameterpflicht als rechtswidrig an.
Dass dies auf der Insel ein großes Problem darstellt, hat einige Gründe. Auf Helgoland wird hauptsächlich zu Fuß gegangen. Die Doppel-Insel ist Seeheilbad und Gemeinde – und ein Fleck im Nordwesten Deutschlands, auf dem so einiges noch außergewöhnlicher ist als auf Sylt, Amrum oder Norderney, was unter anderem am Taxigewerbe deutlich abzulesen ist. Weder zwischen der Hauptinsel Helgoland und der kleineren Nebeninsel, der Düne, noch zwischen Helgoland und dem Festland verkehren Autofähren. Es gibt hauptsächlich Personenfähren und Frachtschiffe. Kraftfahrzeuge können also nur als Frachtgut zwischen Festland und Insel transportiert werden. Das Taxigewerbe auf Helgoland ist damit ein gewissermaßen von der Außenwelt abgeschnittener Binnenverkehr. Krankentransporte nicht gehfähiger Patienten zur nächsten Uniklinik sind nur auf dem Luftweg möglich.
Auf dem Flugplatz auf der Düne starten und landen Kleinflugzeuge mit maximal acht Passagierplätzen. Die Hauptinsel hat zudem einen Hubschrauberlandeplatz, von dem zu Corona-Zeiten „so ziemlich jeder ausgeflogen wurde, der sich in den Finger geschnitten hatte“, um den Betrieb der 500 Meter entfernten Paracelsus-Nordseeklinik mit Schwerpunkt Parkinson aufrecht zu erhalten, wie Taxiunternehmer Heiko Ederleh es beschreibt. So viel zum „Fernverkehr“, der Lebensader der vom Tourismus und von Offshore-Windenergie lebenden Insel mit ihren 1.250 Einwohnern und 1.600 Gästebetten.
Auf Helgoland und der Düne ist sowohl Kfz-Verkehr als auch Radfahren grundsätzlich verboten. Das regelt sogar ganz prominent ein eigener Paragraph der Straßenverkehrsordnung (StVO). Davon ausgenommen sind natürlich Fahrzeuge, die der Daseinsvorsorge dienen, und weitere, ohne die das Inselleben nicht funktionieren würde, und das sind nicht wenige: Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste, Katastrophenschutz, Müllabfuhr, Fahrzeuge für Bau, Unterhaltung und Reinigung der Straßen und Anlagen, (außerdem theoretisch Bundespolizei, Messfahrzeuge der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahn, Zolldienst, Diplomaten, Bundeswehr und NATO-Soldaten) – und eben Taxis, um gebrechliche und immobile Personen und schweres Gepäck über die rund einen Quadratkilometer große Hauptinsel oder die 0,7 Quadratkilometer große Düne zu befördern. Sonstigen ÖPNV gibt es auf der Doppelinsel nicht.
Die längste mögliche A-B-Fahrstrecke auf der Nebeninsel Düne ist rund einen Kilometer lang. Hier ist ein Personenbeförderer mit exakt einem Auto ansässig. Die längste mögliche Fahrstrecke auf der Hauptinsel ist rund zweieinhalb Kilometer lang. Der einzige hier ansässige Taxibetrieb ist EMT bzw. EM-Transporte von Heiko Ederleh und Knud Müller, deren Hauptgeschäft allerdings aus Einsatz und Verleih von Baumaschinen und anderem Nutzgerät besteht, und die außerdem Inselrundfahrten durchführen, den Helgoländer Hafenservice stellen, die Schiffe im Hafen betreuen und die sogar ein Restaurant betreiben. Ihre drei elektrisch angetriebenen Taxis betreiben die Allround-Unternehmer nur nebenbei, und das tut die Firma, die vorher schon von anderen geführt wurde, seit rund 40 Jahren, um die Insel mit am Funktionieren zu halten, denn Gewinn ist mit der geringen Taxinachfrage auf einer so kleinen Insel laut Ederleh unter dem Strich nicht zu erwirtschaften.
So weit, so gut. Seit diesem Frühjahr nun haben Ederleh und Müller ein Bürokratieproblem, und das betrifft die plötzlich in Frage gestellte Ausnahmegenehmigung, die seit Jahrzehnten problemlos angewendet worden ist: Ein normaler Taxitarif würde auf Helgoland nicht funktionieren. Die Gemeinde gehört kurioserweise nicht einem der nächstgelegenen Landkreise an, etwa Friesland, Nordfriesland oder Cuxhaven (50 bis 60 km entfernt), sondern dem 120 Kilometer entfernten Kreis Pinneberg bei Hamburg. Dieser hat einen gewöhnlichen Taxitarif mit 3,60 Euro Grundpreis und Kilometerpreisen zwischen 2,10 und 2,60 Euro, wie üblich unabhängig von der Personenzahl, plus fünf Euro bei mehr als vier Personen – und Beförderungspflicht im gesamten Landkreis. Paragraph 28 der Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr (BOKraft) schreibt für Taxis einen beleuchtbaren Fahrpreisanzeiger vor.
Da Ederleh und Müller gemäß Tarif die meisten Fahrten für vier oder fünf Euro durchführen müssten, was ein enormes Zuschussgeschäft ergäbe, genießt die Firma seit Langem eine Ausnahme von der Tarif- und Taxameterpflicht, die auch problemlos immer wieder vom Kreis Pinneberg verlängert worden ist. Dadurch müssen sie keine Taxameter in ihre Autos einbauen und können Fahrpreise berechnen, die einen einigermaßen kostendeckenden Betrieb ermöglichen. Für die stets kurzen Fahrten verlangen sie pauschal sechs Euro für die erste Person, drei Euro für jede weitere Person und Zuschläge für Gepäck. Nicht selten sind auch Materialfahrten, denn gerne lassen Reisegruppen, deren Teilnehmer gut oder mittelgut zu Fuß sind, lediglich ihr Gepäck zwischen Unterkunft und Fähre transportieren. Doch eine nicht unerhebliche Anzahl Senioren und Menschen mit körperlichen Einschränkungen oder Gebrechen sind auf der Insel auf die Personenbeförderung angewiesen.
Mit der amtlichen Ausnahmegenehmigung, die die Unternehmer selbstverständlich schriftlich haben, unterstützt der Kreis aus Ederlehs Sicht dauerhaft die Gemeinde Helgoland, die vom Tourismus lebt und direkt vom Betrieb der drei Taxis profitiert. Doch eine Mitarbeiterin der Kreisverwaltung sah die Ausnahmegenehmigung kürzlich als rechtswidrig an und beschloss nach Ederlehs Schilderung einfach mal eben, dass die Taxameterpflicht und die Tarifpflicht natürlich auch auf Helgoland gelten. Ederleh erhielt ein mehrseitiges Schreiben, in dem detailliert begründet wurde, warum keine Genehmigung mehr erteilt werden könne: „Die Wiedererteilung der Genehmigungen für den Gelegenheitsverkehr sind rechtswidrig. Die Vorraussetzungen waren von Anfang an nicht gegeben.“ Mit Frist bis 28. September könne Ederleh sich äußern und die Genehmigungen freiwillig zurückgeben. Ansonsten möge er doch bitte künftig für die Einhaltung aller Regeln sorgen.
Würde die Firma EMT der Aufforderung nachkommen, müsste sie mal eben drei Pkws per Frachtgut auf das Festland bringen lassen, in die Taxameterwerkstatt, zum Eichamt und wiederum per Frachtgut zurück auf die Insel, was unter dem Strich um die 20.000 Euro kosten würde. Das lehnten Ederleh und Müller ab: Man betreibe die Taxis nebenbei, damit die Insel mit ihrem Tourismus funktioniert. Wenn das nicht mehr gewollt sei, müsse man ja nicht.
Seiner Empörung verlieh Ederleh online Ausdruck – in zurückhaltenden Worten. Auf Facebook erläuterte er: „Das heißt, der Kreis Pinneberg bezweifelt seine eigenen Urkunden. Nein, das ist kein Witz. Nach vielen Gesprächen, auch mit dem Ministerium in Kiel, vielen Mails mit allen Behörden und Videokonferenzen im Frühjahr dieses Jahres hat uns jetzt ein weiteres Schreiben des Kreises Pinneberg erreicht. Darin steht, daß der Kreis Pinneberg kein öffentliches Interesse für einen Taxenbetrieb unter den jetzt geltenden Bedingungen sieht.“ In der Kreisverwaltung argumentierte man offenbar, die Ausnahmegenehmigungen hätten nur für frühere Fahrzeuge gegolten – aus Ederlehs Sicht ein ganz neuer Einfall, zumal ein aktuell betriebenes Fahrzeug in der Urkunde eingetragen sei.
Schnell solidarisierten sich auf Facebook viele. Die rund 90 Kommentare, die bis September eingingen, reichten von Empörung („Helgoland ist überreguliert und dann fängt der eigene Kreis auch noch an gegen uns zu arbeiten“) über Sarkasmus („Scheinbar sind im Amt in Pinneberg alle gesund und munter und brauchten noch nie ein Auto um zum Arzt zu kommen“) und Unterstützungsangebote („Bei jeder nur möglichen Unterstützung gegen die Entscheidung des Kreises bin ich dabei. Zur Not interveniere ich auch persönlich und direkt beim Landrat.“) bis zu praktischen Tipps, etwa sich die Schwerbehindertenvertretungen des Landes ins Boot zu holen und vielleicht auch die Antidiskriminierungsstelle einzuschalten. „Zieht alle Register.“ Oder: „Was wäre mit Umstellen auf ‚Minicar’? Keine Taxameter, nur Pauschalpreise für die Fahrten, kein Taxischild mehr auf dem Dach und keine Ordnungsnummer nötig.“
Dass der Kreis nach Ederlehs Ansicht „zu keinerlei Lösung bereit ist“, sieht man in der Pinneberger Kreisverwaltung komplett anders. In der Antwort auf eine Presseanfrage von Taxi Times wurde auf keine der detaillierten Fragen zur besagten Ausnahmegenehmigung eingegangen. Stattdessen hieß es: „Es steht außer Frage, dass hier schnell eine Lösung für den Taxenbetrieb auf Helgoland gefunden werden muss. Der Kreis bemüht sich in Absprache mit dem Land Schleswig-Holstein seit vielen Monaten schon darum, diese Lösung mit allen Beteiligten auf den Weg zu bringen. Bislang ist dies aber nicht gelungen. Die Gespräche dazu laufen, weitere Termine, unter anderem mit der Gemeinde Helgoland, stehen an.“ Diese Aussagen standen schon in gleichlautenden Formulierungen in einigen Onlinemeldungen lokaler Nachrichtenportale.
Nach etlichen mühseligen, meist vergeblichen Versuchen, mit Gemeinde-, Kreis- und Landesbehörden konstruktive Gespräche zu führen und pragmatische, einvernehmliche Lösungen zu finden, wusste Ederleh irgendwann nicht mehr, was er noch hätte tun sollen, und entschloss sich, den unlukrativen Taxibetrieb zur Not aufzugeben. Die Frist bis Ende September, sich nochmals dem Kreis gegenüber zu äußern, ließ er verstreichen, da aus seiner Sicht alles mehrfach gesagt war, wie er gegenüber Taxi Times schilderte.
Am 6. November hat die Landrätin des Kreises Pinneberg auf Antrag der CDU-Fraktion eine Taxenordnung für Helgoland erlassen – ohne mit dem Kreistag zu sprechen, wie Ederleh kritisiert, denn der tagte erst zwei Tage später und sei verärgert gewesen, vor vollendeten Tatsachen zu stehen. Ederlehs Firma soll die Fahrpreise nicht mehr nach wirtschaftlichen Kalkulationen festlegen dürfen. Ederleh teilte Taxi Times mit: „In der Verordnung, die gleich mal wieder bis 20.12. ausgesetzt worden ist, steht nun, dass wir für sechs Euro – egal wohin und unabhängig von der Personenzahl – fahren sollen. Für Gepäck dürfen wir zwei Euro das Stück berechnen. Wie man auf die Preise kommt, ist nicht ganz klar, es soll angeblich eine Wirtschaftlichkeitsberechnung der IHK gegeben haben. Wie das wiederum gehen soll, ohne dass man unsere Zahlen kennt, erschließt sich uns nicht.“ Er merkt an, dass die Lebenskosten auf der Insel hoch sind der Mindestlohn entsprechend untauglich: „Für den würden unsere Mitarbeiter nicht arbeiten.“ Die IHK hat sich auf Anfrage von Taxi Times bislang nicht geäußert.
Es geht aber noch bürokratischer: Bis zum 20.12. sollen Ederleh und Müller die Unternehmereignung nachweisen, obwohl diese bereits seit über 20 Jahren urkundlich bestätigt sei. Bis dahin seien alle weiteren Schritte vom Kreis ausgesetzt. Die Unternehmer haben auf Feststellung der Richtigkeit der vorhandenen Urkunde geklagt. Für alle Fälle wird Ederleh dennoch am 13.12. die Prüfung erneut ablegen.
Ihm erschließt sich allerdings auch nicht, wie der Kreis alle erforderlichen Maßnahmen zur Umsetzung der Vorschriften umsetzen will: „Demnach müssten ja Taxenstände geschaffen werden an entsprechenden Stellen – wie den Ankunftsplätzen der Schiffe oder neuralgischen Punkten in der Ortschaft. Da die Schiffe aber bald täglich woanders liegen, müssten sehr viele Taxenstände geschaffen werden. Will man das?“ – Für drei Taxis vermutlich nicht.
Im Unterschied zum Landkreis Nordfriesland, der einen gesonderten Tarif für seine Inseln mit Kfz-Verkehr erlassen hat, wurde im Pinneberger Tarif die Insel Helgoland anscheinend vergessen, was sich schon an der für den gesamten Kreis geltenden Beförderungspflicht zeigt. „Weder wir können mal eben in den Festlandsteil fahren, noch kann der Elmshorner Unternehmer mal eben hierher kommen. Da muss wohl die Verordnung angepasst werden“, so Ederleh.
Diesen Donnerstag will ein Ausschuss der Kreistages sich noch einmal mit dem Taxiverkehr auf Helgoland befassen und auch über die Preisstaffelung reden. Ederleh sieht es pragmatisch: „Wenn die Preise nicht der von uns vorgeschlagenen Staffeltabelle angepasst werden, kann es sein, dass wir dafür nicht mehr arbeiten können, und jemand anders sein Glück in der Personenbeförderung versuchen kann. Unserer Meinung nach geht es nur in der Konstellation, wie es jetzt betrieben wird, oder eine öffentliche Einrichtung übernimmt das und muss da Minus in den Haushalt schreiben lassen.“ ar
Hinweis der Redaktion: Die Taxitarife der Kreise Pinneberg und Nordfriesland sowie eine Übersicht über die meisten anderen deutschen Taxitarife finden Sie in unserer bundesweiten Übersicht.
Fotos: EMT