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Vom Paulus zum Saulus – Risiken einer Plattformvermittlung von Krankenfahrten

von Remmer Witte
7. November 2023
Lesedauer ca. 4 Minuten.
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Vom Paulus zum Saulus – Risiken einer Plattformvermittlung von Krankenfahrten
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Organisationsformen für Rettertaxis, Workshops zu Neuigkeiten aus dem Arbeitsrecht oder dem Umgang mit Ausschreibungen: Die Jahreshauptversammlung des Gesamtverbands des Verkehrsgewerbes Niedersachsens (GVN) hatte viele Themen. Besonders spannend war der Vortrag des Softwareanbieters Moxi aus Hannover, bei dem sowohl Chancen als auch große Risiken für die Branche deutlich wurden.

Der Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN) mit seiner Fachvereinigung Taxi/Mietwagen traf sich am Wochenende zu seiner Jahreshauptversammlung (JHV) ganz im Norden des Bundeslandes in Wilhelmshaven. Er hatte auch seinen Mitgliedern aus der Taxi- und Mietwagenbranche einiges zu bieten. Neben den üblichen Programmpunkten einer JHV gab es verschiedene Vorträge, Workshops und Diskussionen zu aktuelle Themen rund um den Gelegenheitsverkehr.

Im Anschluss an ein nicht öffentliches Delegiertentreffen stellte sich auf der Fachgruppentagung Felix Dohmeier vom Software-Anbieter Moxi aus Hannover den Mitgliedern vor. Der GVN hatte ihn eingeladen, da man derzeit eine Softwarelösung für das so genannte Rettertaxi sucht. Das Rettertaxi soll eine Kooperation mit den niedersächsischen Feuerwehrleitstellen auf den Weg bringen, mit der diese Fahrten an das Taxigewerbe weitergeben kann, für die trotz entsprechender Bestellung kein Krankentransportwagen (KTW) benötigt wird.

Nicht nur in Niedersachsen senden die Leitstellen seit einiger Zeit Hilferufe aus, da ihre KTW-Flotten überlastet sind. So soll es in Einzelfällen bei der Bestellung zu Wartezeiten von bis zu sechs Stunden kommen, bevor Patienten vom bestellten KTW abgeholt werden können. Die Rettungsfachkräfte hatten aber auch festgestellt, dass sowohl bei vielen Entlassungsfahrten als auch bei Notdienstfahrten ohne zeitliche Priorität oder Begleitnotwendigkeit viele der Fahrten durchaus von Taxis oder Mietwagen übernommen werden könnten.

Besonders attraktiv sind für die Leitstellen dabei NUR-Taxis (NUR = nichtumsetzbarer Rollstuhl), da ein KTW genau diese Qualität gar nicht anbieten kann und das NUR-Taxi also die bessere Lösung ist. Für eine ausschreibungsfreie Weitergabe bedarf es allerdings einer entsprechenden Schnittstelle zwischen Feuerwehr und Gewerbe, die solche Aufträge für alle lokalen Fahrgastbeförderungsanbieter mit Taxis verfügbar macht, da die Leitstellen als kommunale Aufgabenträger sich nicht beliebig für bestimmte Unternehmen ihrer Wahl entscheiden dürfen. Kein Geheimnis ist, dass auch die Krankenkassen solche Projekte mit relativ großer Begeisterung begleiten und unterstützen, da sie hier ein hohes Sparpotential erkennen.

Obwohl es auch gewerbeintern verschiedene Lösungsvorschläge für die neutrale Auftragsvergabeproblematik gibt, waren die Verantwortlichen im GVN auf den Softwareanbieter Moxi aufmerksam geworden, der schon jetzt in der digitalen Auftragsvermittlung der Rettungsdienste zum Beispiel für die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) aktiv ist. Hier können die Pflegekräfte aus der MHH über eine Software die jeweils notwendigen Krankentransportfahrzeuge online ordern, ohne deren Betreiber telefonisch kontaktieren zu müssen. Entstehende Wartezeiten für die Patienten können in Echtzeit abgefragt werden.

Felix Dohmeier beschrieb seinen Weg zur Rettungsbranche sehr plastisch als den eines vormals selber Leidtragenden, der bei der Pflege seines Vaters auf die Schwächen der Vermittlung von Rettungsdienstfahrzeugen aufmerksam geworden war und sich daraufhin mit einer Software selbstständig gemacht habe, die eben dieses Problem lösen sollte. Ein besonderer Dorn im Auge war ihm dabei die offensichtliche Ressourcenverschwendung, wenn hochqualifizierte Pflegekräfte ihre Zeit bei der Bestellung solcher Fahrzeuge am Telefon verschwendeten. Daher könne man heute über die Software bei der Bestellung schon die spezifischen Bedürfnisse der Patienten eingeben. Damit würden von vornherein nur Fahrzeuge für den jeweiligen Auftrag vermittelt, die diesen Bedürfnissen nachkommen könnten.

Die Auftragsübermittlung erfolge entweder an die jeweiligen Vermittlungszentralen der Rettungsdienste oder via Handy direkt an die Fahrzeuge. Eine gesonderte Software oder App sei dafür nicht notwendig. Tatsächlich könne er inzwischen bei der Nutzung seiner Software eine erhebliche Beschleunigung der Auftragsabwicklung im Rettungsdienst feststellen. Auch könne er eine stets gerechte Verteilung der Aufträge unter den Bewerbern sicherstellen. Und wo Exklusivvereinbarungen bestünden, könnten diese auch eingepflegt werden, so dass solche Aufträge nur an bestimmte Unternehmen vermittelt würden. Pro tatsächlich realisiertem Auftrag berechne Moxi seinen Kunden derzeit 1,19 Euro.

Das klingt zunächst nach einer guten Lösung. Bei den Nachfragen der Delegierten wurde jedoch klar, wo der Pferdefuß des Angebots zu finden ist. Vielleicht ohne Absicht hat die von Dohmeier präsentierte Softwarelösung das Potential, das Gewerbe in Zukunft drastisch zu knebeln. Zum einen entmachtet schon der Zugang in den Bestellvorgang an der Schnittstelle zwischen Krankenhäusern und Gewerbe die Branche. Gibt es die Option für das Pflegepersonal, Krankenfahrzeuge über einen Klick zu ordern, werden diese es sicherlich mit Begeisterung tun.

Vermittelt derselbe Anbieter aber auch Taxis und Mietwagen, werden auch sie über diese Schnittstelle geordert. Damit aber wird ein weiterer Plattformanbieter wie Bolt, Uber oder Free Now erschaffen, dem die Branche hilflos ausgeliefert bleibt. Dieser Plattformanbieter könnte im zweiten Schritt als Verhandlungspartner für die Krankenkassen auftreten und dem Gewerbe die letzte Chance rauben, seine Krankenfahrttarife mitzubestimmen. Zu guter Letzt kann eine Vermittlungsprovision in Zukunft jederzeit angepasst werden, wobei selbst 1,19 Euro pro Auftrag für einige Regionen schon etwa fünf Prozent des Auftragsvolumens ausmachen werden. Die Delegierten waren sich daher einig, dass das Modell Moxi ihren Bedürfnissen nicht gerecht wird, auch wenn sein Anbieter gar nichts Böses im Sinn habe.

Neben dieser heiß diskutierten Präsentation informierte Jochen Flämig von Volkswagen Nutzfahrzeuge die Delegierten über das aktuelle Portfolio der Wolfsburger und machte darauf aufmerksam, dass der im Gewerbe beliebte Touran bald auslaufen wird. End of Production sei Anfang 2026, aber aufgrund der langen Lieferzeiten müsse man schon bald bestellen, um noch einen Touran zu erhalten. Dafür könne man möglicherweise bald einen werksseitig zum Taxi ausgestatteten ID4 bestellen. Flämig beschrieb auch den Begriff UNECE, der Regularien für vernetzte Fahrzeuge definiert. Die Fahrzeuge seien inzwischen Smartphones auf vier Rädern und so komplex, dass es zukünftig immer weniger Kombinationsmöglichkeiten für verschiedene Ausstattungsmerkmale geben werde, denn diese könnten vielfach nur noch als Pakete angeboten werden.

Thomas Kirchner von der Versicherung Signal Iduna schloss das Treffen der Fachgruppe Taxi/Mietwagen ab und informierte die Delegierten über viele Details der Betriebshaftpflicht. Versichert seien dabei alle Risiken, die nicht zur Kfz-Haftpflicht gezählt würden, aber trotzdem zum Berufsbild des Taxifahrers gehörten. Dies ende jedoch beispielsweise an der Rezeption der Krankenhäuser. Passiere etwas auf dem Weg zur Station, sei im Zweifel nicht mehr die Betriebshaftpflicht, sondern die Haftpflicht der Pflegeeinrichtung zuständig.

Die nächste JHV des GVN ist für den 29. und 30. November 2024 terminiert und soll in der alten Werft in Papenburg stattfinden. Schon im Mai 2024 soll im Übrigen wieder der „Currywurstabend“ als beliebtes brancheninternes Netzwerktreffen auch mit vielen Landtagsparlamentariern stattfinden. rw

Beitragsfoto: Remmer Witte

Tags: GVNKrankenfahrtenMoxiNUR (nicht umsetzbarer Rollstuhl)Rettertaxi
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Remmer Witte

Nach über 40 Jahren als Fahrer, Disponent und Chef im Taxi- und Mietwagengewerbe ist der Niedersachse heute unter anderem für einen taxinahen Dienstleister aktiv. Seine Themen sind die Branchenzukunft und -politik und die kleinen Dinge im Alltag des Gewerbes.

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