Zukunftsforscher sprechen gern von Zukünften im Plural, denn die Zukunft an sich ist nicht vorbestimmt, sondern ergibt sich aus den Aktivitäten im Hier und Jetzt. Also kann auch das Taxigewerbe seine möglichen Zukünfte gestalten. Beim TMV-Think-Tank in Bad Bayersoien war das Ziel, hier gemeinsam die Möglichkeiten für die Branche zu diskutieren.
Der Taxi- und Mietwagenverband TMV hatte eine Denkfabrik, neudeutsch Think-Tank, organisiert und konnte sich über knapp dreißig Teilnehmer an seiner Veranstaltung im bayerischen Bad Bayersoien freuen, die übergreifend aus Verbänden, Unternehmen, Medien und der Wirtschaft im Taxiumfeld und teilweise auch aus der vordigitalen Zeit angereist waren.
Dabei inspirierten verschiedene Impulsvorträge immer wieder aufs Neue, Taxi neu zu denken. Neben deren fachlichen Inhalten (Taxi Times berichtete) war mehr oder weniger bei allen Vortragenden eine besondere Energie wahrzunehmen, die bundesdeutsche Taxibranche aus ihrer oftmals selbst gewählten Opferrolle herauszuzerren und sich ihren Kunden selbstbewusst als die bessere Alternative beispielsweise zu Uber und Bolt, aber auch zum Linien-ÖPNV oder zum privaten Pkw, darzustellen. Als Hemmschuh wurden dabei zum einen die mangelhafte Digitalisierung des Gewerbes, zum anderen die schwache Außendarstellung als optischer und persönliche Werbeträger für die offerierte Dienstleistung ausgemacht, vor allem aber die Zersplitterung der Verbände und auch der Systeme, die es insbesondere Politik viel zu leicht macht, die Brancheninteressen zu ignorieren, während die fehlende Einheits-App den Kunden die einheitliche Wahrnehmung der Branche erschwert.
Das gute an dieser Erkenntnis: Alle vier Kritikpunkte lassen sich – theoretisch – aus der Branche selbst heraus bearbeiten. Optimierung ist so möglich, ohne dass man auf die Initiativen anderer angewiesen ist. Thomas Sell, Berater beim Hansafunk, berichtete dazu aus Hamburg vom Projekt Zukunftstaxi und einer in Kürze zu erwartenden digitalen Festpreislösung auf Basis des Tarifkorridors (Link siehe unten).
Das Taxi ist aber nicht die einzige Branche, die vielerlei Transformation vollziehen muss. Hier lohnt es sich also durchaus, mal bei anderen Branchen abzugucken. Der Versicherungsmakler und gelernte Wirtschaftspsychologe Moritz Heilfort regte hier soziodemografische Zielgruppenanalysen an, die sich verbandsseitig über Studentenprojekte durchaus kostengünstig initiieren ließen. Optimal für die Branche sei hier, dass die notwendigen Interviewer nicht erst rekrutiert und bezahlt werden müssten, sondern schon in jedem Taxi direkt links neben bzw. vor den Kunden säßen.
Ein anderes Thema war die Mitarbeiterschulung. Die mangelhafte Ortskenntnis vieler Taxler, die erst in den letzten Jahren dazu gestoßen sind, lässt Kunden und Branchenprotagonisten oftmals die Haare zu Berge stehen, wobei dieses Phänomen eher im städtischen als im ländlichen Umfeld auffällt. Wenn also früher eher die Fahrzeuge aufgrund ihres optischen oder olfaktorischen Zustandes unangenehm auffielen, scheinen dies nun die Fahrenden aufgrund ihrer mangelhaften Kenntnisse zu sein.
Der leidige Heckdeckelknopf markiert hier die Spitze eines riesigen Potentials vor allem in den Metropolen. Vielleicht könnten Bewertungsbuttons ähnlich denen der ungeliebten Mitbewerber die Entwicklung in Schwung bringen und gleichzeitig die Fahrerinnen und Fahrer disziplinieren.
Auch beim Thema Digitalisierung lasen einige Vortragende der Branche durchaus die Leviten. Wenn schon die britische Boulevardpresse ihre Bürger während der EM warnt, dass Deutschland bezüglich einer flächendeckenden Kartenakzeptanz oftmals hinterwäldlerisch aufgestellt sei, hat das sicherlich auch viel mit den diesbezüglichen Defiziten bundesdeutscher Taxis zu tun. Diese können oftmals zwar durchaus, vielfach wollen sie aber nicht. Und hier stinkt der Fisch durchaus vom Kopf, denn Unternehmen, die nicht in der Lage sind, bargeldlose Trinkgelder durchzureichen, dürfen sich nicht wundern, wenn ihre Mitarbeitenden hier opponieren. Sowohl Alexander Mönch von Free Now als auch Jonathan Nemec von myPos schätzten das Trinkgeld-Potential bargeldloser Zahlungen auf mehr als zehn Prozent und straften die Mär des Trinkgeldverlustes bei Kartenzahlungen so als Lüge.
Kritik mussten auch die TaBeA-Verweigerer einstecken (Taxi Times berichtete). Das Potential bundesweiter Kooperationen ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Selbst die beiden konkurrierenden überregionalen Verbände kooperieren bei diesem Projekt. Daneben sollte eine fortschreitende Digitalisierung doch eigentlich auch eine Vereinfachung auf den Weg bringen. Fahrende, die auf drei Displays und Smartphones zwischen fünf verschiedenen Apps jonglieren müssen, können wohl kaum verkehrssicher und effizient arbeiten. Hier wünschten sich viele der Teilnehmer eine Kooperation der verschiedenen Softwareanbieter, damit die Systeme zukünftig besser harmonieren. Kunden möchten überregional nur eine App, Verkehrsplaner sowieso, also muss es die Branche schaffen, dass man mit einer einzigen App in allen Systemen sein Taxi bestellen kann. Die Bedürfnisse des Marktes bestimmen hier die Kunden und nicht die Branchen-Protagonisten. Ein zeitnaher runder Tisch der System-Anbieter scheint da also notwendig. Aber wer greift da wohl als erstes zum Telefonhörer?
Free-Now-CEO Alexander Mönch pushte die Teilnehmer ebenfalls, gab aber auch Hoffnung, da sein Unternehmen ja inzwischen wieder die Rückverwandlung vom Saulus zum Paulus vollzieht. Das Mietwagenkonzept von Uber, Bolt & Co. sei wirtschaftlich nicht tragfähig, daher müssten die Vermittler die Kooperation mit dem Taxi suchen. Sein Unternehmen hat diesen Wandel schon vollzogen und kooperiert beispielsweise in Stuttgart nun direkt mit der dortigen Zentrale. Eine selbstbewusst-vorsichtige Annäherung empfiehlt sich auch in anderen Regionen, nötigenfalls auch zu Lasten übermächtiger Zentralen.
Christian Linz vom bayerischen Landesverband skizzierte die notwendige Transformation noch einmal drastisch, indem er der klassischen Taxizentrale kaum noch eine Zukunft einräumte. Die Bestellungen der Zukunft kommen über Apps, oder sie gehen telefonisch in Callcentern in Billiglohnländern ein. Seine eindrucksvolle Analyse machte mehr als klar, dass das Taxi am Scheideweg steht: Kann es sich nicht bewegen und parallel neue Kundenkreise wie ÖPNV-Taxis erschließen, landet es auf dem Schrottplatz der Geschichte. Bewegt es sich aber (gemeinsam und aufeinander zu), dann gibt es durchaus hoffnungsvolle Perspektiven. rw
Hinweis der Redaktion: Weitere Meldungen zur Think-Tank-Veranstaltung finden Sie unter diesem Link.
Beitragsbild: Remmer Witte