Highlight des Taxi-Film-Fests: Ein Dokumentarfilm über ein Stück West-Berliner Kneipen- und Künstlerszene feierte Premiere. Anwesend waren die Filmemacherinnen sowie mehrere der rund 40 Jahre älteren Protagonisten.
Nach dem blutrünstigen Hauptfilm „Jajabara“ mit den beiden Vorfilmen „Zogbeto“ und „The Night of the Moment“, die am Freitagabend im (recht kühlen) Filmzelt auf dem Potsdamer Platz gezeigt worden waren, hatten die Festivalveranstalter Klaus Meier, Irene Jaxtheimer und Stephan Berndt für Samstagabend einen Aufführungsraum in einer Location gebucht, die sehr bekannt, gut geheizt und noch besser gefüllt war: im Tanzclub „Zur wilden Renate“. Dieser besondere Veranstaltungsort war einem besonderen Anlass geschuldet: Für die Premierenfeier des Hauptfilms war nicht nur der Hauptteil des Münchner Filmteams nach Berlin-Friedrichshain gekommen, sondern auch mehrere Hauptpersonen aus dem Dokumentarfilm.

Das Thema des Samstagabends war „Nachtleben“, und es wurden wiederum ein Hauptfilm (der diesmal keine Spielfilmlänge hatte) und gleich drei kurze Vorfilme aufgeführt. Laut Internetseite des Taxi-Film-Festes ging es darum, wie sich die allgemeinen Lebensbedingungen und das Nachtleben seit 1980 verändert haben. Beim ersten Vorfilm „Today Artist, tonight Taxist“ ist die Rede von „einer tragischen Geschichte aus dem heutigen Rumänien (Am Tag Künstler, nachts Taxifahrer), die in krassem Gegensatz zu Ihrer Beschreibung des Nachtlebens steht.“ Der Film zeige „in Rumänien, das sich zunächst anfühlt wie das Mauerstadt-Idyll, wo Kunst und am Taxilenkrad schnell verdientes Geld harmonierten.“ Der zweite Vorfilm hieß „No Where“ und zeigte „ein futuristisches, reiches China, in dessen Kälte Menschen schwer zusammenfinden.“ Vorfilm Nr. 3 war „The big bad Wolf“, der mit seinen knuffigen Figuren sehr an „Shaun das Schaf“ oder „Wallace and Gromit erinnerte“ und auch aus denselben Filmstudios stammte. Er handelte von einem Schweinchen, das in der Zeit der industriellen Revolution, als Schweine sich vor Wölfen zu schützen beginnen, Freundschaft mit einem (nicht ganz so großen bösen) Wolf schließt.
Das eigentliche Event des Abends aber war die Premierenfeier des Hauptfilms, der im deutschen Original „Wat Neuet im Westen“ heißt, eine in Berliner Mundart verdrehte Persiflage des Antikriegsfilmtitels „Im Westen nichts Neues“. Er hat auch einen Titel für das internationale Publikum erhalten, der schon etwas mehr vom Inhalt verrät: „Ruins“, also Ruinen, und eine solche ist auch der Hauptschauplatz des Dokumentarfilms: Die West-Berliner Kultkneipe „Ruine“, die in einer aus dem Zweiten Weltkrieg übriggebliebenen Ruine an der Ostseite des Schöneberger Winterfeldtplatzes stand.

Protagonisten des Dokumentarfilms waren unter anderem der Schriftsteller Willi Gettél, der Maler Horst-Dieter Keitel, der „Ruine“-Kellner Jo Schmejkal und – der Grund dafür, dass der Film Teil des Taxi-Film-Festes war – der Hobbyfilmer, Musiker, Künstler und zeitweise Taxifahrer Knut Hoffmeister, der Ende der 1970er-Jahre auch gerne aus dem Auto heraus filmte, was die Ästhetik des Films zum guten Teil ausmacht. Die drei einstigen Stammgäste der „Ruine“ waren zur Premierenfeier gekommen, ebenso wie Stephan Ostertag, Schauspieler, Musiker und Mitbegründer der Krautrock-Band „Lava“, von der mehrere Songs im Film verwendet wurden – ebenso wie von der New-Wave-Band „Notorische Reflexe“, deren Mitglied der exzentrische Allround-Künstler Knut Hoffmeister war. Auch Heiner Klinger war da, seit 40 Jahren Wirt der Kult-Kneipe Slumberland (auf der Nordwest-Ecke des Winterfeldtplatzes), der das Filmteam bei seinen Recherchen unterstützt und „uns viele spannende Kontakte vermittelt und sogar ein wenig Archivmaterial aus den 80ern zur Verfügung gestellt“ hat, wie Regisseurin Daya Sieber gegenüber Taxi Times berichtete. Nur Hippel, der Wirt der Ruine, war nicht gekommen, da er, wie angedeutet bzw. gemutmaßt wurde, wohl nicht mehr am Leben sein soll.
Anwesend war bei der Premierenfeier auch der Hauptteil des Filmteams von der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) München: die Regisseurinnen Daya Sieber und Anna Herrmann, Kamerafrau Hana Reintges, Co-Produzent Luca Riedel und Editor Marian Marx. Die Regisseurinnen, die nach der Vorführung vom Publikum für das gesamte Filmteam Applaus erhielten, erzählten von der Entstehung des Films.
„Wat Neuet im Westen“ ist eine Hommage an ihre Protagonisten, etwa den noch immer sehr aktiven Knut Hoffmeister, der schon vor dem Zeitalter der Musikvideos die Songs seiner Band mit künstlerisch anspruchsvollen Filmen untermalte. Zum Film selbst und seine Entstehung wird Taxi Times später eine gesonderte Meldung veröffentlichen.

Die beiden Regisseurinnen, die das Kunstwerk, so muss man den außergewöhnlichen Film über die Künstler aus der Ruine schon bezeichnen, unter dem Dach ihrer Hochschule gedreht haben, sind bereits länger beruflich aktiv und haben sehr unterschiedliche Laufbahnen hinter sich. Die aus München stammende Daya Lavine Sieber (30) studiert an der HFF München. Ihr derzeitiges Studium (Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik) ist nicht ihr erstes: Sie hat bereits Kunstgeschichte, Philosophie und Medienwissenschaften studiert und 2020 als Master in Stuttgart abgeschlossen, richtete mehrere Kulturveranstaltungen aus und arbeitet seit 2016 als freie Journalistin.
Die gebürtige Berlinerin Anna Herrmann (37), die den Film mit Sieber zusammen konzeptionierte, ist erfolgreiche Schauspielerin und hat bereits in mehreren Theaterstücken und vielen Fernsehfilmen mitgewirkt, darunter das Remake des Kriegsdramas „So weit die Füße tragen“ von 2001 und zahlreiche Krimis. Sie wurde 2015 und 2016 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. „Wat Neuet im Westen“ war für beide die zweite Regie-Arbeit.
Taxi-Film-Fest-Veranstalter Klaus Meier kennt die Atmosphäre des Films aus eigener Erfahrung: „Für uns Taxifahrer ist es ein Rückblick auf eine glückliche Zeit, in der es immer mehr als genug Geld für alle gab und West-Berlin, das Schaufenster des globalen Westens unter der Führung der USA, Künstlern unbegrenzte Freiheit bot.“
Zentralenchef und Bundesverbands-Vizepräsident Hermann Waldner, der als Hauptsponsor des Taxi-Film-Fests erfreut über die gut besuchte Veranstaltung war, erzählte: „Auch ich bin in den Siebzigern nach Berlin gekommen und bin dann hier in den Achtzigern als Student Taxi gefahren – eine Zeit, an die ich mich sehr gerne zurückerinnere, und in die einen der Film auch ein Stückweit mitnimmt. Sehr beeindruckend, wie die Studentinnen aus München, die ja den Ort zu der Zeit nicht persönlich erlebt haben, dieses Thema umgesetzt haben.“

Am Ende des Abends zufriedene Gesichter: Allen Anwesenden hatte die Feier gefallen, und das Ambiente des Raumes passte auch ein Kleinwenig besser zum Film über die „Ruine“ als heutige Kinosäle, in denen Premierenfeiern üblicherweise stattfinden.
An einem weiteren außergewöhnlichen Ort ist das Taxi-Film-Fest am morgigen Freitag: Im Waschhaus des berühmten Corbusier-Hauses in der Flatowallee in Berlin-Westend steht der Filmabend unter dem Motto „Frauen im Taxi“. Nach dem zwölfminütigen Vorfilm „Fourth Tariff“ von Jacek Półtorak, in dem eine jung verwitwete Frau (Sonia Trzewikowska) als Taxifahrerin die Chance auf einen Neuanfang erhält, kommt der deutsche Fernsehfilm „Taxi“ mit der bekannten Schauspielerin Rosalie Thomass und dem inzwischen vielleicht noch berühmteren Peter Dinklage zur Aufführung.
Am Samstag steht dann gegen 19 Uhr die Preisverleihung und anschließend die Abschlussparty des Taxi-Film-Fests auf dem Programm. Mehr dazu auf der Internetseite. ar
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Beitragsbild: Filmplakat des Dokumentarfilms „Wat Neuet im Westen“, © HFF München
Fotos: Axel Rühle (soweit nicht anders angegeben)