„Jede zweite Taxifahrt endet ohne Trinkgeld“ – diese Plakataussage als Ergebnis einer „Trinkgeldstudie“ war vor kurzem unter anderem in Berlin zu lesen. Das Ergebnis vermittelt, dass es eigentlich mehr sein müsste und eventuell auch schon mal war. Aber ist das wirklich so? Gibt es tatsächlich sogar regionale Unterschiede in der „Trinkgeldkultur“ im In- oder Ausland? Taxi-Times hat sich an einer Geschichte des Trinkgelds versucht.
Der Jahreswechsel ist vorbei, und nach der Silvesterschicht tauschten wieder viele Trinkgeldkönige ihre phänomenalen Höchstsummen aus – ob es dann stimmt oder nicht, bleibt dabei natürlich im Ungewissen. Nach zwei Pandemie-Jahren endlich mal wieder viel Barumsatz und entsprechend viel Trinkgeld, da schlugen zum vergangenen Monatswechsel vor allem die Herzen der Nachtschicht höher. Fast alle Fahrerinnen und Fahrer aus der Branche wissen ihre besondere Trinkgeldgeschichte zu erzählen, und viele beklagen einen Rückgang der Freigiebigkeit. Ob eine Studie mit ganzen 68 Befragten da Licht ins Dunkel bringt, sei einmal dahingestellt.
Man gibt es der Kellnerin, der Taxifahrer nimmt es, der Schaffner wird es in der Regel zurückweisen – wonach richtet sich das Thema Trinkgeld? Fragt man nach, haben viele Menschen durchaus klare Trinkgeldregeln im Kopf, aber niemand weiß so genau, woher sie eigentlich stammen. In Italien ist Trinkgeld eher verpönt, in den Nachbarländern nicht. Trinkgeld wird in protestantischen oder katholischen Ländern und in faschistischen oder demokratischen Ländern gegeben, und selbst in der DDR gehörte es zum guten Ton. Und zum Zankapfel wird es inzwischen auf dem Kreuzfahrtfahrtschiff, da dort verschiedene Kulturen unversöhnlich aufeinanderprallen. Gegenseitiges Unverständnis ist so vorprogrammiert. All dies sind Merkmale einer Kultur, die sich inzwischen allen rationalen Erklärungsversuchen entzieht.
Aber woher kommt dieser Brauch eigentlich? Der deutsche Ausdruck „Trinkgeld“ taucht erstmals im späten Mittelalter auf. Im Benimm-Klassiker rät Adolph Freiherr von Knigge bereits 1788 „dem Wagenmeister ein gutes Trinkgeld zu geben“. Die Intention war es wohl, dass das Geld auf das Wohl des Gastes vertrunken wird, daher also „Trinkgeld“. Und so war es seit dem Mittelalter üblich, Dienstleistungen von Boten, Handwerkern und Fuhrleuten mit Trinkgeld zu belohnen, wobei der Übergang zur Bestechung natürlich fließend war. Der einfache Dienstleister bekam ein Trinkgeld, bei besser Situierten erfüllten solche Zahlungen dann aber schnell den Tatbestand der Bestechung – zumindest nach heutigen Kriterien.
Spätestens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich das Trinkgeld für den Gast dann zu einem Mittel der sozialen Abgrenzung, durch das sich selbst noch der Kleinbürger von den Unterschichten unterscheiden konnte, und hielt so auch in der Gastronomie Einzug. Besonders hier führte es aber auch oft zu Unmut, denn die Gäste fühlten sich vom Personal regelrecht zur Trinkgeldgabe gezwungen. Das Personal wiederum war aber vielfach auf das Trinkgeld angewiesen, weil der Lohn allein nicht zum Überleben reichte und das Trinkgeld einkalkuliert wurde. Kritiker erkannten so schon damals das Trinkgeld als Symbol der Entfremdung und Entmenschlichung der Arbeit, „es fördere eine knechtische Gesinnung, degradiere den Kellner zum Sklaven“. Gerade der Austausch zwischen männlichen Gästen und weiblichen Bedienungen im Gastgewerbe wurde zusätzlich als besonders heikler Punkt empfunden. Die juristische und moralische Debatte über das Trinkgeld, das formal zwar freiwillig geleistet wurde, de facto inzwischen aber unausweichlich war, erreichte um 1900 einen ersten Höhepunkt und führte sogar zur Gründung einer bürgerlichen „Anti-Trinkgeld-Liga“.
Diese Initiative blieb jedoch wie auch andere Gesetzesinitiativen zum Trinkgeldverbot bis in die Weimarer Republik erfolglos. Allerletzte Reste staatlicher Regelungsbedürfnisse zeigten sich in Deutschland allerdings noch bis in die 1990er-Jahre. Wer schon ein paar Jahre länger am Taxilenkrad dreht, erinnert sich vielleicht daran, dass noch unter Helmut Kohl ein Maximalbetrag festgelegt war, bis zu dem Trinkgeldeinnahmen tatsächlich steuer- und sozialversicherungsfrei blieben. Ausgerechnet der Sozialdemokrat Gerhard Schröder schaffte diese Begrenzung dann ersatzlos ab, und inzwischen müssen lediglich selbstständige Trinkgeldempfänger solche Einnahmen beim Finanzamt angeben und als Einkommen ordentlich versteuern.
Die Auseinandersetzung mit der Historie der Trinkgeldkultur macht deutlich, dass es sich beim Trinkgeldgeben nicht bloß um den Austausch materieller Werte handelt. Vielmehr berührt dieses „Ritual tiefere Fragen von gesellschaftlichem Status, Prestige und Ehre“, wie der Gießener Historiker Winfried Speitkamp in seiner kurzweiligen Geschichte des Trinkgeldes vor Augen führt. Rational jedenfalls lässt sich kaum erklären, warum der „homo oeconomicus gegen seine eigenen Interessen handelt und für eine bereits erbrachte Dienstleistung Geld zahlt – selbst wenn er den Empfänger niemals wiedersehen wird“.
International herrscht im Übrigen oftmals eine sehr unterschiedliche „Trinkgeldkultur“. In Europa gelten fünf bis zehn Prozent als „richtig“. In den USA sind 15 Prozent „tip“ heute sogar eher Minimum, nachdem das Trinkgeldgeben bis zum Bürgerkrieg gänzlich unüblich und zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts in einigen Bundesstaaten als antidemokratisch und „unamerikanisch“ sogar strafbar war. In vielen Ländern des arabischen Raums wird heute noch regelmäßig auch schon für kleinere Handreichungen ein Bakschisch erwartet. In Südostasien kann man sich allerdings sogar sehr unbeliebt machen, da ein perfekter Service dort als selbstverständlich angesehen wird.
Interessant ist dabei, dass diese Prozentzahlen dann auch den Wechsel von der D-Mark zum Euro relativ unbeschadet überstanden haben und zumindest solche Gäste, die häufiger Dienstleistungen wie Taxi oder Gastronomie in Anspruch nehmen, diese Kultur auch ins Zeitalter digitaler Zahlarten hinüberretten. Lediglich Menschen, die eher seltener als Dienstleistungsempfänger dieser Art unterwegs sind, „vergessen“ das Trinkgeld schon mal und machen so gerade Krankenfahrten bei vielen Chauffierenden eher unbeliebt. Ebenfalls interessant ist auch eine weitere Erkenntnis: Vielleicht ist es dem Ursprung des Trinkgeld als ergänzende Entlohnung für den Kutscher geschuldet, ein Teilen des Trinkgelds innerhalb des Teams ist jedenfalls in der Gastronomie heute durchaus gang und gäbe, bei Taxchauffierenden aber wohl die absolute Ausnahme.
Letztendlich muss wohl jede und jeder, egal ob trinkgeldgebend oder -empfangend, für sich selbst entscheiden, wie er sich zu diesem Kulturgut positionieren will und die Fragen von „Status, Prestige und Ehre“ für sich selbst bewerten. Ein entspannter Umgang mit dem Thema hilft dabei in jedem Fall, denn erfahrungsgemäß bekommen dann doch diejenigen das meiste Trinkgeld, die es gar nicht drauf anlegen, und ein lockerer Umgang beim Aufrunden der Zahlung macht einfach glücklicher, oder? Kommentare erwünscht! rw
Beitragsfoto: Remmer Witte
Dieses Plakat bringt nicht nur die Fahrer in eine unangenehme Position. Auch ein Fahrgast kann sich dadurch unter Druck gesetzt fühlen und überlegt sich möglicherweise eine Fahrt, wenn im nicht die finanziellen eigenen Möglichkeiten da einen Spielraum geben.
Das hat schon etwas von einer Beschwerde an sich, gegenüber dem Fahrgast.
Wie gesagt, sehr unangenehm …
Die Frage ist warum endet sie ohne Trinkgeld.
Es liegt meistens am Taxifahrer: in und selten am Fahrgast.
Da muss mehr getan werden, die Fahrer:inen sollten besser geschult werden, das wir die Fahrgäste wieder zurück gewinnen.
Bei mir sind es auch 2 Seelen in meiner Brust. Einerseits freue ich mich natürlich über das monetäre Addendum, welches man ja trefflich für die Differenz zum besseren Urlaubshaus oder zum Aufstocken des Kindergeldes nutzen kann. Andererseits hat ja jeder von uns auch mitunter mal extrem nette und umgängliche Kunden, deren Trinkgeldgabe dann auch noch oft sehr hoch ist, wie ein Dankeschön für Menschlichkeit. Und da fühle ich mich dann als Fahrer schon fast wieder missverstanden, weil das Miteinander mit diesen Kunden nicht mit Geld zu bewerten ist und nach dem Aussteigen etwas „Nuttiges“ verpasst bekommt.
Daher bekomme ich beim Ausbleiben von Trinkgeld bei einem „Ätzkunden“ noch schlechtere Laune (Schmerzensgeld?) und möchte andererseits bei „Nettkunden“ eher keines bekommen.
Wenn ein Fahrer das Trinkgeld wirklich korrekt auf der Quittung ausweist (und dazu ist er verpflichtet), schaut der Geschäftskunde aber merkwürdig und gibt bei der nächsten Fahrt keins mehr. Das ist insbesondere bei bargeldlosen Fahrten so.
Der Fahrer handelt aber nur so richtig. Er „schadet“ sich aber selbst.
Das „Problem“, mit der korrekten Buchführung …
Na dann mal los:
Ein „Trinkgeld“ zu bekommen ist für mich ein Dankeschön für eine Hilfsbereite angenehme Fahrt wenn der Fahrgast zufrieden war.
Ein Fröhlicher Fahrer/in mit einem lächeln im Gesicht, der die Türe für den Fahrgast öffnet, die Koffer einlädt oder den Rollator , egal ob es Regnet oder Schneit.
Sich dem Kundenwunsch der Route anpasst, auch wenn es ein Umweg ist. Sich dem Mentalen Ausdruck den Fahrgastes anpasst, (ist er ruhig, oder nervös hat er eventuell gerade Stress oder Ist etwas in der Familie geschehen) . All das kann man einem Fahrgast ansehen und man sollte sich darauf einstellen.
Mit Gefühl kann man sich darauf einstellen und sich langsam dem Kunden annähern.
Dann kommt die Fahrweise, auf Geschwindigkeit achten, Abstand zum Vordermann halten
und ist am Ziel der Kunde mit deiner Leistung zufrieden kann es auch ein Trinkgeld geben.
Aber erwarten sollte man es nicht denn der Kunde zahlt ja schließlich die Fahrt und damit ist deine Leistung erledigt.
Wenn es jetzt einen Bonus oben drauf gibt, dann weiß ich, dass ich alles richtig gemacht habe.
Na dann mal Los !!!
Klaus, das hast Du sehr gut gesagt, wenn alle Fahrer: in so agieren, sind die Taxen wieder voll.
Es gleicht sich eigentlich immer aus. Der eine Fahrgast gibt wenig (Fahrt für 19,80 – machen Sie Zwanzig) oder gar nichts, der andere dafür viel. Ich hatte schon Fahrgäste, bei denen das Trinkgeld dem eigentlichen Fahrpreis nahe kam oder diesen sogar überschritt. Und das nicht nur bei Fahrten unter 10,-. Im Durchschnitt ist es auf den Monat gesehen aber immer ungefähr gleich (+-5%).