Auf dem BVTM-Taxitag in Erfurt diskutierten die Krankenfahrtexperten Gisela Spitzlei und Wolfgang Oertel gemeinsam mit Unternehmer und Podcaster Jens Marggraf darüber, wie sich die Rahmenbedingungen für Krankenfahrten verbessern lassen – um diesem inzwischen mit großem Abstand wichtigsten Segment des Taxigewerbes neue Impulse zu geben.
Mit der Einstiegsfrage, welche Wünsche seine Gäste hätten, wenn Wünschen helfen würde, eröffnete Moderator Thomas Lang das Panel „Rahmenbedingungen Krankenfahrten“ beim BVTM-Taxitag in Erfurt. Besonders Gisela Spitzlei, die seit über 50 Jahren Krankenfahrten für das Gewerbe abrechnet, nannte mehrere wünschenswerte Gesetzesänderungen, die den Alltag im Krankenfahrtbereich erheblich erleichtern könnten.

Zuerst müsse der §133 des Sozialgesetzbuches (SGB) schnellstens novelliert werden. Das SGB verpflichtet die Krankenkassen zwar, auch mit Taxi- und Mietwagenanbietern Krankenfahrtentgelte auszuhandeln, es fehlt jedoch eine Regelung für den Fall der Nichteinigung. In anderen Bereichen der Medizin steht den Verhandlungspartnern gesetzlich eine Schiedsstelle zur Verfügung, die Kompromisse erzwingen kann – nur den Taxlern nicht. Dadurch verschärft sich das ohnehin bestehende Ungleichgewicht zwischen David, den Taxlern, und Goliath, den mächtigen Krankenkassen. Aktuell existiert ein Flickenteppich länderspezifischer Entgeltvereinbarungen, die kaum unterschiedlicher sein könnten. Das Publikum bestätigte dies sofort: Die Spanne reicht von 1,75 € pro Kilometer im Nordosten bis 2,70 € im Südwesten. Einzelne Krankenkassen oder ihre Verhandlungsführer versuchen sich immer wieder durch besonders rigides Vorgehen zu profilieren. Die tatsächlichen Kosten der Unternehmen spielen dabei kaum eine Rolle – die Verhandlungen gleichen einem Basar, jedoch mit dem Nachteil, dass die Taxler ihre Leistung nicht anderweitig anbieten können und so vom Goodwill der Kassen abhängig sind.
Jens Marggraf berichtete aus Nordhessen, wo das Gewerbe zum Jahreswechsel beinahe in einen Konflikt mit der DAK geraten wäre. Dank der Solidarität der Unternehmen und öffentlicher Aufmerksamkeit konnte die DAK letztlich doch einlenken (Taxi Times berichtete über die Hintergründe dieses Erfolg ausführlich in seiner Printausgabe 1. Quartal 2025, bestellbar unter diesem Link). Solche gewerbliche Solidarität sei jedoch keineswegs selbstverständlich, betonten Marggraf, Spitzlei und Oertel. Oft gehe es den Unternehmen um das unmittelbare Überleben, sodass kurzfristig verfügbare Einnahmen wichtiger erscheinen – selbst wenn diese langfristig nicht zum Überleben reichen.
Die drei Experten waren sich einig, dass das Bürokratiemonster der Zuzahlungen dringend entschärft werden müsse. Derzeit nutzen die Abrechnungsagenturen der Krankenkassen das für Patienten und Pflegekräfte kaum verständliche System, um die Unternehmen zusätzlich mit Nach- und Rückforderungen zu belasten – ein unhaltbarer Zustand. Dieser Knoten müsse schnell gelöst werden, auch um dem Gesundheitssystem vermeidbare Zusatzkosten zu ersparen, zumal der Abrechnungsaufwand der Taxi- und Mietwagenunternehmen meist nicht in den vereinbarten Entgelten berücksichtigt ist.
Die Krönung sei kürzlich der Vorschlag einiger Politiker gewesen, meinte Wolfgang Oertel, Taxler und BVTM-Vizepräsident aus Chemnitz. In der Bundespolitik sei tatsächlich die Idee geäußert worden, die Fahrkostenübernahme komplett aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen zu streichen, um Milliarden einzusparen. Tatsächlich kosten Krankenbeförderungen mit Taxi und Mietwagen jährlich mehr als zwei Milliarden Euro. Diese Ausgaben zu streichen, wäre jedoch eine Milchmädchenrechnung: Ohne die Fahrten würden deutlich höhere Kosten etwa durch Krankenhausaufenthalte entstehen. Zwei Milliarden machen gerade einmal 0,8 Prozent der gesamten Gesundheitskosten aus – blinder Aktionismus hilft hier also nicht weiter.
Statt sich in Klagen zu verlieren, ging es im Panel vor allem um Lösungen zur Stärkung des Gewerbes. Neben der wichtigen Forderung nach einer Schiedsstelle wünschten sich die drei Experten besonders einen professionellen Rahmenvertrag für die Entgeltverhandlungen zwischen Krankenkassen und Taxi- und Mietwagenunternehmen.
Nach Angaben von Spitzlei gibt es bundesweit mehr als 800 unterschiedliche Rahmenvereinbarungen zwischen Krankenkassen und dem Gelegenheitsverkehr, teils bundeslandübergreifend, teils für einzelne Unternehmen. Das erschwert nicht nur den Vergleich der Daten, sondern verursacht auch unnötigen Aufwand, da jeder Verhandlungspartner erneut prüfen muss, welches Leistungsspektrum vereinbart ist. Ein einheitlicher Rahmenvertrag könnte hier viel Zeit und Geld sparen.
Verbände und Experten sollten einen Vertragsentwurf erstellen, der – unabhängig von den vor Ort auszuhandelnden Entgelten – den rechtssicheren Rahmen für die bundesweit einheitlichen Leistungen von Krankenfahrten vorgibt. So ließe sich auch das stets im Hintergrund lauernde DSGVO-Monster effektiver im Zaum halten.
Hoffnung machten den Experten die Bestrebungen in einigen Bundesländern, Taxis stärker in das oft überlastete Rettungswesen einzubeziehen. Viele verordnete Fahrten mit Krankenwagen seien medizinisch nicht unbedingt notwendig – Zahlen zufolge könnten bis zu 60 % alternativ unbegleitet mit Taxis oder Mietwagen erfolgen. In Schleswig-Holstein und Niedersachsen laufen bereits Pilotprojekte, die eine koordinierte Beförderung über Feuerwehrleitstellen zum Ziel haben. Entscheidend sei jedoch die Bereitschaft der Branche, gemeinsam an einem Strang zu ziehen.
Jens Marggraf sieht darin eine Chance, dem Taxigewerbe neue Impulse zu geben. Gerade das wichtige Krankenfahrtsegment sei für viele Plattformanbieter wegen des hohen bürokratischen Aufwands unattraktiv – noch. Marggraf wünscht sich eine gewerbeintern verwaltete App, ähnlich wie Qrago oder Moxi, aber besser, um medizinische Fahrten zu koordinieren. Gelingt es der Branche, hier einen neuen Standard zu etablieren, könnte die App mittelfristig bundesweit als allgemeine Bestellplattform dienen und digital mit den großen Plattformen gleichziehen.
Seine charmante Idee in Kürze: Alle Unternehmen im 50‑km‑Umfeld eines großen Krankenhauses schließen sich zusammen und stellen eine Bestell-App bereit. So könnten alle Beförderungsaufträge zentral, zeit- und leistungsgerecht abgewickelt werden, ohne dass Krankenhausmitarbeitende vorher lange koordinieren müssen. Wünsche nach bestimmten Unternehmen könnten berücksichtigt oder alternativ provisioniert werden. Klingt nach einem Plan, oder? rw
Impressionen vom Deutschen Taxi- und Mietwagentag (Fotos: Taxi Times)
Hinweis der Redaktion: Taxi Times war beim Deutschen Taxi- und Mietwagentag mit vier Redakteuren vor Ort und konnte deshalb alle, teils parallel stattfindenden Panels besuchen. Lesen Sie die ausführlichen Zusammenfassungen der Panels über die nachfolgend aufgeführten Links. ..
18.11.25: Übersicht über den Tag 1 des Deutschen Taxi- und Mietwagentags: Erfurt wurde zum Taxi-Mittelpunkt
19.11.25: Übersicht über den Tag 2 des Deutschen Taxi- und Mietwagentags: Freunde? Feinde? Überleben!
19.11.25: Panel „Tarifkorridor – Vor- und Nachteile“: Der Tarifkorridor hat viele Gesichter
20.11.25: Panel „Teilhabe und Daseinsvorsorge – Taxis noch inklusiver machen“: „Taxi für alle“ – wie wäre es mit „Rollitickets“?
26.11.25: Panel „Plattformen: Freund oder Feind“: Plattformkooperationen – Sackgasse oder ein neuer Weg?
27.11.25: Panel Von obskur bis allgegenwärtig – das ÖPNV-Taxi wächst“ Inkl. Workshop: „Linienverkehr und Taxi brauchen Paartherapie“
28.11.25: Panel Die Kleine Fachkunde: „Wie geht es weiter mit der Kleinen Fachkunde?“
28.11.25: Panel Mindestbeförderungsentgelte: Wo wir jetzt stehen: „MBE – das neue Zaubertool der Taxler“
Beitragsfoto: Auf dem BVTM-Taxitag in Erfurt diskutierten die Krankenfahrtexperten Gisela Spitzlei und Wolfgang Oertel gemeinsam mit Unternehmer und Podcaster Jens Marggraf darüber, wie sich die Rahmenbedingungen für Krankenfahrten verbessern lassen, Foto: Taxi Times












