Zum ersten Mal in der Rechtsprechung hat ein Datenschutzverstoß eines Arbeitgebers bei der Beweisführung eine Kündigung tatsächlich zu Fall gebracht.
Ein offensichtlicher Arbeitszeitbetrug, den der Arbeitgeber mit einer elektronischen Zeiterfassung und einer Videoaufzeichnung belegten konnte, führte zur fristlosen Kündigung. Das LAG Niedersachsen erklärte diese Kündigung nun für unwirksam, da es ein Beweisverwertungsverbot für die Aufzeichnungen des Arbeitergebers annahm.
Dem Arbeitgeber war bekannt geworden, dass einige seiner Arbeitnehmer regelmäßig Arbeitszeitbetrug begingen. Daraufhin griff der Arbeitgeber auf Daten des elektronischen Zugangserfassungssystems und auf die Aufzeichnungen von Videokameras zurück, die im Betrieb an den Eingängen offen platziert waren. Die Aufnahmen belegten, dass die Arbeitnehmer im Jahresverlauf teilweise nicht im Betrieb waren, obwohl sie im Zeiterfassungssystem als anwesend geführt wurden. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis, wogegen sich ein Arbeitnehmer erfolgreich vor dem Arbeitsgericht Hannover wehrte. Auch die Berufung des Arbeitgebers wurde vom LAG Niedersachsen als unbegründet zurückgewiesen, denn der Arbeitgeber könne den Arbeitszeitbetrug nicht beweisen. Sämtliche vom Arbeitgeber vorgelegten Aufzeichnungen der technischen Systeme unterfielen aus verschiedenen Gründen einem Beweisverwertungsverbot (LAG Niedersachsen, 06.07.2022 – 8 Sa 1148/20).
Die Daten aus dem elektronischen Zeiterfassungssystem, welche den Arbeitszeitbetrug eindeutig belegten, durfte der Arbeitgeber nicht gegen den Arbeitnehmer verwenden, da hierzu eine Betriebsvereinbarung existierte, die eine personenbezogene Auswertung von Daten ausdrücklich verbot. Das LAG erkannte auch die nachträglich erteilte ausdrückliche Zustimmung des Betriebsrates zu der Verwertung nicht an, denn der Arbeitnehmer könne sich auf diese Betriebsvereinbarung persönlich berufen und genieße in jedem Falle Vertrauensschutz in Form einer „berechtigten Privatheitserwartung“. Diesen Vertrauensschutz könne auch der Betriebsrat im Nachhinein nicht aufheben.
Die mit Hilfe der Videoaufzeichnung gewonnenen Erkenntnisse ließ das LAG ebenfalls nicht als Beweismittel zu, denn an diesen hatte der Arbeitgeber Hinweisschilder angebracht, dass die maximale Speicherdauer 96 Stunden betrage. Auf die Selbstbindung des Arbeitgebers dürfe der Arbeitnehmer vertrauen und erwarten, dass kein Rückgriff auf diese Videoaufzeichnungen genommen werde. Auch hier stellte das LAG also die berechtigte „Privatheitserwartung“ und damit die Erwartung des Arbeitnehmers, sich in Sicherheit wiegen zu dürfen, in den Vordergrund.
Hinsichtlich der Videoaufzeichnungen sah das LAG auch eine unzulässige Verarbeitung personenbezogener Daten von Beschäftigten nach den Bundesdatenschutzgesetz. Es ging zweistufig vor: Zunächst wurde geprüft, ob ein Verstoß gegen ein materielles Gesetz vorliegt. Wenn dies bejaht werde, müsse im Einzelfall geprüft werden, ob die Verwertung der so gewonnenen Beweismittel durch das Gericht einen Grundrechtsverstoß darstellt und damit ausnahmsweise nicht verwertet werden dürfe. Ebendiese Frage war aus Sicht des LAG zu bejahen, denn das Mittel der Videoüberwachung sei zur Kontrolle geleisteter Arbeitszeiten nicht angemessen. Der vorliegende Fall sei anders gelagert als der eines „Zufallsfundes“, denn hier sei nach einem Jahr explizit nach Beweisen für einen Verstoß des Arbeitnehmers gesucht worden. Und das stelle einen tiefgreifenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers dar. Das LAG Niedersachsen hat im vorliegenden Fall also einen offensichtlichen Arbeitszeitbetrug ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen enden lassen und stellte damit zumindest für diesen Fall den Datenschutz über den Tatenschutz.
Da nicht nur in fertigenden Betrieben, sondern auch in der Dienstleistung – wie im Taxi- und Mietwagenbetrieb – das Vorliegen von verschiedenen digitalen Aufzeichnungen aus dem Arbeitsablauf der Arbeiternehmer inzwischen eher die Regel als die Ausnahme ist, sollten sich die Arbeitgeber diesbezüglich bewusst werden, welch sensibler Datenschatz hier verfügbar ist. Selbstverständlich muss hier zunächst einmal sein, dass die Daten vor unbefugtem Zugriff geschützt werden. Des Weiteren sollte die regelgerechte Datennutzung im Arbeitsvertrag eindeutig geregelt werden. Jede Zweckentfremdung dieser Datennutzung birgt das Risiko des Beweisverwertungsverbots.
Gerade in Taxis und Mietwagen kann es zu Situationen kommen, in denen Gefahr im Verzug ist. Da sollte der unverzügliche Zugriff auf diese Daten zum Wohl der Mitarbeiter möglich sein. Ist diese Gefahr allerdings vorüber und es soll lediglich der Hergang bestimmter Ereignisse im Nachhinein aufgeklärt werden, dann besteht schon ein erheblich sensibleres Rechtsumfeld. Hier sollten Arbeitgeber solche Aufzeichnungen ausschließlich nach Zustimmung des betroffenen Mitarbeiters gemeinsam mit dem Mitarbeiter und der Polizei auswerten, um einem möglichen Beweisverwertungsverbot bei der anschließenden gerichtlichen Aufarbeitung vorzubeugen.
Käme es nun bei einer solchen zweckgerechten Datenauswertung parallel dazu, dass ein Arbeitgeber zufällig Kenntnis von einem Arbeitsrechtsverstoß seines Arbeitnehmers wie beispielsweise einer Schwarzfahrt erhielte, dann wären diese Aufzeichnungen als Beweis für diesen Verstoß auch vor dem Arbeitsgericht tatsächlich zulässig. Würde ein Arbeitgeber aber regelmäßig oder auch unregelmäßig diese Daten sichten, um nach Verstößen seiner Mitarbeiter zu fahnden, dann wäre die Aufzeichnungen als Beweis möglicherweise unzulässig, da dafür ein Beweisverwertungsverbot denkbar wäre.
Wer sich als Arbeitgeber dieser Relationen bewusst ist und wer in dieser Funktion auch selber Respekt vor den Persönlichkeitsrechten seiner Mitarbeiter hat, sollte eigentlich schon auf der sicheren Seite sein. Wer allerdings eher ein Problem mit dem Vertrauen hat, sollte sich des Risikos von Beweisverwertungsverboten stets bewusst sein, um teure Überraschungen vor dem Arbeitsgericht auch in Zukunft zu vermeiden. rw
Beitragsfoto: Collage Remmer Witte
Sehr interessantes Urteil. In ähnlicher Weise mich z.B. erinnernd an den Fall eines Kollegen dem von Gästen „Pauschal“-Fahrt (=Schwarzfahrt innerhalb des Pflichtfahrgebiets) angeboten wurde: Ein Gast stieg beim Kollegen ein, bot Pauschalpreis nach Fahrt ohne Uhr an, Kollege willigte ein. Am Ziel angekommen verlangte der Gast eine Quittung, stieg dann aber ohne Bezahlung aus mit den Worten: „bei Beschwerde unterrichte ich den Unternehmer von der Schwarzfahrt“, und ging von dannen. Das war dann ein Schuss ins Knie…