Die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (SenUVK) hat für kommendes Jahr die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit der Erprobung eines neuen Rufbus-Systems, ähnlich dem Berlkönig, beauftragt. Letzterer soll noch bis zum kommenden Jahr fahren.
Berlins Innenstadt ist mit Verkehrsangeboten überversorgt, die Außenbezirke dagegen – für Großstadtverhältnisse – stellenweise eher schlecht bedient. Das will die rot-rot-grüne Koalition seit Langem ändern.
Letztes Jahr war laut Tagesspiegel noch ein 69 Quadratkilometer großes Gebiet im Gespräch – und eine Bedienung durch den „Berlkönig“. Nun hat Regine Günthers Verwaltung bekanntgegeben, dass ab Mai 2022 ein 41 Quadratkilometer großes, in etwa dreieckiges Gebiet zwischen der S5 (Ostkreuz–Biesdorf–Mahlsdorf), der S3 (Ostkreuz–Köpenick–Rahnsdorf) und der Stadtgrenze mit barrierefreien Rufbussen mit maximal acht Fahrgastplätzen bedient wird. Damit sollen die teils unattraktiven Anbindungen in Friedrichsfelde, den südlichen Teilen von Biesdorf, Kaulsdorf und Mahlsdorf sowie in den nördlichen Teilen von Karlshorst und Köpenick kompensiert werden. Als Betriebszeit sind laut SenUVK mindestens 16 Stunden (werktags 4:30 Uhr bis 20:30 Uhr und an Wochenenden von 8 Uhr bis Mitternacht) vorgesehen.
Das Konzept kann man als Weiterentwicklung des „Berlkönigs“ bezeichnen, wobei jetzt nur noch von „Rufbussen“ die Rede ist: Die Fahrten können nicht nur per App, sondern auch telefonisch gebucht werden, und die Fahrpreise variieren. Grundsätzlich soll eine Fahrt zwischen einer individuellen Adresse und dem nächsten U- oder S-Bahnhof 1,50 Euro Zuschlag für die erste Person und je 0,50 Euro Zuschlag für Mitfahrer auf derselben Verbindung kosten, jeweils zum Preis des normalen Fahrscheins addiert. In „besonders schlecht angebundenen Gebieten“ soll der Aufschlag laut Berliner Zeitung komplett entfallen. Auch Direktverbindungen zwischen zwei individuellen Adressen sollen angeboten werden, womit nicht nur Wohnadressen gemeint sind, sondern auch Bürgerämter, Ärztehäuser oder Seniorentreffs. Die „virtuellen Haltestellen“ liegen „alle 200 bis 300 Meter im Gebiet verteilt“. Verbindungen zwischen diesen werden aber als „Komfortzuschlag“ nach Entfernung berechnet: 1,50 Euro pro Kilometer, Mitfahrer 0,50 €/km. Zum Einsatz kommen 24 bis 26 elektrisch angetriebene Kleinbusse. Dafür soll es ein von der BVG geführtes Vergabeverfahren geben.
Das Angebot soll zunächst in einer dreijährigen Pilotphase erprobt werden. Die Senatsverkehrsverwaltung steuert drei Millionen Euro bei. Noch steht nicht fest, welcher Partner die Fahrzeuge im Auftrag der BVG betreiben soll. Als Landesbetrieb ist die BVG der Daseinsvorsorge verpflichtet. Mit dem „Berlkönig“-Projekt im Rahmen der Experimentierklausel im Personenbeförderungsgesetz, bei dem sie mit der – rein profitorientierten – Daimler-Tochter ViaVan kooperiert, hat sich die BVG viel Kritik eingehandelt. Daseinsvorsorge und die Interessen von Konzernaktionären lassen sich schwerlich unter einen Hut bringen. Die Ablehnung seitens des Taxigewerbes, das eine Kannibalisierung des Marktes beklagt, wird heute auch von den wichtigen Verkehrspolitikern der Koalition im Abgeordnetenhaus geteilt.
Ganz anders war es beim Projekt „Berlkönig BC“, bei dem das Taxigewerbe der Kooperationspartner war, das als Teil des ÖPNV ebenfalls der Daseinsvorsorge verpflichtet ist. Das Projekt galt als hoffnungsvoller Auftakt einer langfristigen Intensivierung der Zusammenarbeit der BVG mit dem Taxigewerbe, das bereits seit rund 50 Jahren schwach frequentierte Buslinien mit Pkw und Kleinbussen bedient. Nach der kürzlichen Einstellung des „Berlkönig BC“ sind derzeit 26 Kleinbusse des Taxigewerbes für die BVG unterwegs, zum großen Teil auf Nachtbuslinien und derzeit auch als Shuttle zu den Impfzentren. Auch bei U-Bahn-Störungen oder Nachtbusausfällen werden immer wieder spontan Großraumtaxen als Ersatzverkehr eingesetzt, bis die BVG ihre Ersatzbusse vor Ort hat.
Nun darf das Taxigewerbe hoffen, dass die BVG aus dem Fehler beim Berlkönig gelernt hat und diesmal keine neue Fahrzeugflotte aus dem Boden stampft, sondern – ganz im Sinne der nachhaltigen grünen Berliner Verkehrspolitik – das Taxigewerbe unter Einbeziehung der bestehenden Flotte für das neue Rufbusprojekt heranzieht. Laut rbb24 fordert genau dies der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Tino Schopf. Er kritisiert, dass die BVG mit dem „Berlkönig“ bereits „Taxi spiele“. Auch sein „Amtskollege“ beim linken Koalitionspartner, Kristian Ronneburg, will das Taxigewerbe mit einbezogen sehen und ist mit Schopf der Meinung, dass ein Rufbusbetrieb nicht zur Kannibalisierung des Taxiverkehrs führen dürfe. Harald Moritz von den Grünen hat dagegen keine Bedenken und lobt das Konzept, mit dem man seiner Meinung nach „konsequent den Weg der Verkehrswende geht und den Nahverkehrsplan umsetzt“.
Noch kritischer als Moritz’ Koalitionspartner sieht es die Opposition. Der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Oliver Friederici, traut dem Taxigewerbe ein solches Rufbus-Projekt sogar zu, ohne überhaupt die BVG einzubeziehen: „Die BVG soll sich darauf spezialisiert weiter profilieren, Busse, Bahnen, Straßenbahnen, U-Bahnen fahren zu lassen und nicht immer neue Angebotsprojekte zu beginnen. Nach dem ‚Berlkönig’ sollte das jetzt nicht noch ausgeweitet werden auf das Rufbus-System oder das Ruftaxi-System. Ich finde, das hätte man auch in einem dreijährigen Pilot-Verfahren der Berliner Taxi-‚Innung’ oder auch den anderen Taxiverbänden geben können.“ Die FDP fordert zwar eine Ausweitung des Rufbuskonzepts auch auf die Westbezirke, warnt aber ebenfalls vor einer Kannibalisierung des Taxiverkehrs.
Leszek Nadolski, Erster Vorsitzender der Berliner Taxi-„Innung“, die die Zusammenarbeit mit der BVG seit vielen Jahren managt, zeigte sich von den neuen Plänen überrascht und wird von rbb24 zitiert: „Mir ist die Spucke weggeblieben, als ich gesehen habe, dass es ein Konzept für ein Rufbus-System gibt, von dem wir nichts wussten!“ Er will mit seinem Verband an der Ausschreibung teilnehmen. Ob er Chancen hat, erscheint fraglich. Lässt eine Ausschreibung sich mit den Prinzipien Daseinsvorsorge und Nachhaltigkeit in Einklang bringen? ar
Beitragsfoto: Axel Rühle