In zehn Jahren hat Uber mehr als fünf Millionen Euro für Lobbyarbeit bei der EU ausgegeben. Der Konzern streut dabei auch Unwahrheiten. Im Zuge der Protestaktion „Great Delivery“ radeln Essenskuriere von Paris nach Brüssel.
Dennis Radtke (CDU), Mitglied des Europäischen Parlaments (Fraktion der Europäischen Volkspartei), erwähnte bei der Kundgebung in Köln am 12. Oktober, dass Plattformen wie Uber in letzter Zeit eine teuflische und raffinierte Lobbykampagne führen in Bezug auf die EU-Plattformarbeitsrichtlinie, indem sie durch kreativen Umgang mit der Wahrheit versuchen, Verwirrung zu stiften auf den Fluren des EU-Parlaments und anderer EU-Institutionen. Da übermorgen, am Donnerstag, dem 9. November, das entscheidende „Trilog“-Treffen zwischen dem Europäischen Parlament und dem EU-Rat stattfindet, bei dem versucht wird, eine Kompromissvereinbarung zur Plattformarbeitsrichtlinie auszuarbeiten, begann am vergangenen Sonntag (5.11.) in Paris „La Grande Livraison“ bzw. die „Great Delivery“ (grandiose Lieferung), einer der bisher kreativsten und internationalsten Proteste der Plattformarbeiterbewegung: Auf Fahrrädern fahren acht Essenskuriere aus sechs europäischen Ländern 400 Kilometer von Paris nach Brüssel, um Arbeitnehmerrechte in der Gig Economy einzufordern.
„Nachdem sie auf ihrem Weg ein breites Spektrum von Plattformarbeitern getroffen haben, von Grafikdesignern bis zu Hausangestellten, und auf einem Teil der Reise von Fahrdienstfahrern begleitet wurden, werden sie am Mittwoch, dem 8. November, in Brüssel ankommen”, schrieb die Interessengemeinschaft „Gig Economy Project“. Am darauffolgenden Tag werden sie eine Demonstration mit dem Motto „Lasst Uber nicht das Gesetz machen“ vor dem Gebäude der Europäischen Kommission abhalten, wo zum selben Zeitpunkt über die Kompromissvereinbarung zur Plattformarbeitsrichtlinie verhandelt wird.
Inzwischen fordern die europäischen Gewerkschaften die Politik auf, der intensiven Lobbyarbeit der Plattformunternehmen die Stirn zu bieten und echte Rechte für Zusteller, Taxifahrer, Betreuer und andere Arbeitnehmer durchzusetzen. Seit dem 25. September hat Uber in den sozialen Medien in Belgien über 100 Anzeigen geschaltet, um die EU-Richtlinie zur Plattformarbeit zu schwächen, wie die Anzeigenbibliothek von Meta (Facebook) zeigt. Auch auf der EU-politischen Website „Politico“ war Uber äußerst aktiv. Politico berichtet, dass es in der jüngsten Anzeige von Uber heißt, dass „Mythen Missverständnisse schüren“ und es daher „an der Zeit ist, die Fakten zu teilen“.
Bei deren Fakten taucht dann aber beispielsweise nicht auf, dass Uber gemeinsam mit dem US-Konkurrenten Lyft zugestimmt hat, 328 Millionen US-Dollar an Fahrer in New York wegen „Lohndiebstahls“ zu zahlen. Sie hatten den Fahrern eine Umsatzsteuer und andere Steuern auferlegt, die die Kunden zahlen sollten. Die Auszahlung ist eine der größten Entschädigungen wegen Lohndiebstahls in der Geschichte der USA.
Das Gig-Unternehmen hat seit 2013 bereits mehr als fünf Millionen Euro für Lobbyarbeit bei der EU ausgegeben (wie aus den Uber-Files bekannt ist, nicht nur auf seriöse Art), und der jüngste Vorstoß erfolgt vor den Verhandlungen über den endgültigen Text der Richtlinie am 9. November.
Camille Peeters, einer der Hauptorganisatoren des Brüsseler Couriers Collective, sagte, dass „The Great Delivery“ angesichts der im Vergleich zur Plattformlobby begrenzten Mittel ein Versuch sei, die „Sichtbarkeit“ zu maximieren: „Wir haben nicht Millionen von Euro wie die Plattform-Lobby, um Einfluss auf die EU-Richtlinie zu nehmen; stattdessen haben wir die Leute und wir versuchen gemeinsam, eine Alternative und eine Bottom-up-Lobby zu schaffen, die dem Vorgehen der Plattform entgegenwirken kann. Eine mächtige Plattform-Lobby“, erklärte er.
Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) hat vor Kurzem mit einer eigenen Videoanzeige auf „X“ (vormals Twitter) zurückgeschlagen, in der er Ubers aggressive Lobbytaktiken anprangert und eine strenge Plattformarbeitsrichtlinie fordert (zu sehen hier). Über dem Video steht auf englisch: „Uber sollte aufhören, Geld für Werbung zu bezahlen, die die Plattform-Richtlinie torpediert, und anfangen, seine Mitarbeiter angemessen zu bezahlen“. Im Video wird die gleiche Aussage allgemeiner formuliert, indem statt Uber von „Plattformen“ die Rede ist.
Der Konföderale Sekretär des EGB, Ludovic Voet, sagte: „Plattform-Lobbyisten investieren viel Geld in die Werbung, weil sie wissen, dass ihr Geschäftsmodell kaputt ist, das darauf basiert, ihren hart arbeitenden Mitarbeitern die grundlegendsten Arbeitnehmerrechte zu verweigern. Der Gesetzgeber sollte sich dieser aggressiven Lobbyarbeit entgegenstellen und eine starke Plattformarbeitsrichtlinie erlassen, die sicherstellt, dass Uber und andere Unternehmen endlich nach den gleichen Regeln handeln müssen wie andere Arbeitgeber.“
Ben Wray, Sekretär der Interessengemeinschaft „Gig Economy Project“ fasste es am Sonntag so zusammen: „Die europäischen Gesetzgeber haben die Wahl: Sie müssen dafür sorgen, dass Gig-Arbeiter die Arbeitnehmerrechte aller anderen Arbeitnehmer erhalten, oder sie verabschieden ein Gesetz, das dem stetigen Abbau des europäischen ‚Sozialmodells’ zugunsten einer immer stärkeren Annäherung an Amerikas ‚Ultra-Liberalisierten Arbeitsmarkt’ kein Ende setzt. Auf diesem Arbeitsmarkt hat man nur eine geringe Chance, stinkreich zu werden, aber eine wirklich große Chance, rund um die Uhr zu arbeiten und nachts im Auto zu schlafen. Auf welche Lobby werden sie hören: auf die „Bottom-Up-Lobby“ der Arbeiter, die bereit sind, 400 Kilometer mit dem Fahrrad zu fahren, um ihren Standpunkt durchzusetzen, oder auf die Top-Down-Lobby des Silicon Valley mit ihren schicken Instagram-Werbungen? Die Wahl liegt bei ihnen.” wf
Beitragsbild: Screenshots der Anti-Uber-Werbung des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB)
Da kann man nur hoffen, daß EU- Politiker mal auf den kleinen Mann hören und nicht auf finanzstarke Unternehmen.