Gemessen an der Bedeutung des Taxis innerhalb der gesamten Landespolitik spielt es im Koalitionsvertrag eine erfreulich konkrete Rolle. Anscheinend ist die Kritik aus dem Gewerbe bei den Politikern angekommen. Das Papier versprüht dennoch wenig Tatendrang.
Die designierte schwarz-rote Koalition hat ihren Koalitionsvertrag veröffentlicht. Deren Aussagen klingen jetzt aber deutlich grüner als im Wahlkampf. Noch gibt es Widerstand aus Teilen der SPD, die Jusos sind gegen eine neue GroKo im Berliner Senat, in beiden Parteien muss noch die jeweilige Basis final abstimmen, womit nicht vor Ende April, Anfang Mai zu rechnen ist, und Die Linke versucht es noch mit neuen Angeboten an die SPD. Dennoch scheint es so gut wie sicher: Die CDU unter Kai Wegner als Regierendem Bürgermeister wird demnächst mit der SPD zusammen die Berliner Landesregierung bilden. Die Opposition wird aus Grünen, Linke und AfD bestehen. Die FDP hat mit unter 5 Prozent Pause im Abgeordnetenhaus. Die Verkehrsverwaltung soll von der CDU übernommen werden.
Die Koalitionsverhandlungen sind abgeschlossen. Das Koaltitionspapier trägt den Titel „Das Beste für Berlin. Ein Aufbruch für die Stadt. Eine Koalition für Erneuerung. Ein Regierungsprogramm für alle. Sozial, innovativ, verlässlich und nachhaltig.“ Das Taxi kommt in dem 123-seitigen Papier immerhin siebenmal als Wort oder Wortteil vor. Im siebenseitigen Kapitel „Mobilität und Verkehr“ wird einleitend ein „mobiles und nachhaltiges Berlin“ als Ziel definiert, wozu man „auf ein Miteinander und nicht auf ein Gegeneinander“ setze – ein Seitenhieb auf die bisherige Verkehrssenatorin Bettina Jarasch und ihre Vorgängerin Regine Günther, denen die CDU seit Langem vorwirft, Radfahrer, Autofahrer und ÖPNV-Nutzer gegeneinander auszuspielen. „Der Öffentliche Personennahverkehr ist ein entscheidender Faktor für ein mobiles Berlin“, heißt es danach unter Betonung des hohen Stellenwerts der Zusammenarbeit mit dem Bund und dem Land Brandenburg, wobei der von den Grünen so stark in den Fokus gerückte Fahrradverkehr auffallend ausgespart wird, bevor der Seitenhieb fortgesetzt wird: „Wir stehen für den Grundsatz einer angebots- und nicht verbotsorientierten Mobilitätspolitik.“
Nach Absätzen über Verkehrssicherheit, temporäre Spielstraßen und Verkehrsberuhigung, wo eine Fortsetzung der bisherigen Politik angekündigt wird, folgt ein Punkt mit expliziter Abkehr von der grünen Politik der letzten sechs Jahre: „Die zulässige Höchstgeschwindigkeit in der Stadt soll sich im Rahmen der Straßenverkehrsordnung an den örtlichen Gegebenheiten orientieren. Es soll grundsätzlich Tempo 50 auf Hauptstraßen gelten und Tempo 30 auf Nebenstraßen und dort, wo es sinnvoll ist.“ Nach einem Absatz über Fußgängerfreundlichkeit kommt dann erstmals der Fahrradverkehr ins Spiel, der in der Politik von Jarasch und Günther eine derart große Bevorzugung erfahren hatte, dass man von einer gewissen Spaltung sprechen kann. Hier klingt das Koalitionspapier relativ versöhnlich: „Die Koalition priorisiert, welche Radverkehrsprojekte aus dem Radverkehrsplan sie in dieser Legislaturperiode umsetzt. Wir wollen bestehende Radwege sanieren und sichere Radspuren einrichten. Wir werden unter Beachtung örtlicher Gegebenheiten auch getrennte Radspuren einrichten.“
Ein Kontrapunkt zum letzten Koalitionspapier zwischen SPD, Grünen und Linken ist die Aussage zu deren Mobilitätsgesetz, das dabei nicht in Frage gestellt wird: „Wir wollen das Mobilitätsgesetz im Sinne einer angebotsorientierten Mobilität weiterentwickeln. Hierbei geht es insbesondere um ein besseres Miteinander der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer und die Beachtung örtlicher Gegebenheiten.“
Nach einem Absatz über Fahrradabstellanlagen geht es dann um Verkehrssicherheit und intelligente Verkehrsbeschleunigung: „Wir wollen smarte und intelligente Ampelschaltungen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit und Leistungsfähigkeit für alle Verkehrsträger. Wir werden Pilotprojekte zur Einführung von sogenannten Speedanzeigen für Radfahrerinnen und Radfahrer einführen und zur Countdown-Anzeige für Fußgängerinnen und Fußgänger auflegen.“ Vielversprechend für den Autoverkehr auch eine spätere Passage: „Baustellen müssen schneller und intelligenter geplant, vollzogen und abgeschlossen werden. Wir werden eine Baustellenkoordinierungs-Plattform als zentrale Steuerungsstelle einrichten, die Informationen über das gesamte Berliner Straßennetz erfasst und einheitlich verarbeitet. Ziel ist es, räumliche und zeitliche Konflikte von Baumaßnahmen bereits im Vorfeld zu verhindern und, falls nötig, frühzeitig entsprechende Umleitungen einzurichten.“ Auch will man offenbar etwas an der Tatsache ändern, dass an vielen Straßenbaustellen nur selten Bauarbeiter anzutreffen sind: „Wir werden an geeigneten Baustellen unter Würdigung lärmschutzrechtlicher Belange prüfen, ob diese verstärkt im Drei-Schicht-Modell betrieben werden können, um die Baumaßnahmen schnellstmöglich fertigzustellen.“
Anschließend widmet eine längere Passage sich dem Schienenverkehr, in dem etliche Streckenverlängerungen thematisiert werden, deren Umsetzung stärker dem tatsächlichen Bedarf und der Siedlungsentwicklung folgen soll. Der Bau von Straßenbahnstrecken soll vorangetrieben werden, wobei die Tram vorrangig auf eigenem Gleisbett verkehren soll. Busse und Straßenbahnen sollen wieder einmal – durch verbesserte Ampelschaltungen, wie sie seit Jahrzehnten angekündigt und kaum umgesetzt werden – beschleunigt und weitere Busspuren eingerichtet werden.
Dann endlich wird es für das Taxigewerbe spannend: „Wir wollen den Einsatz von Kiezshuttles (autonome Minibusse) erproben. Außerdem sind in bislang schlecht mit dem ÖPNV erschlossenen Gebieten Kiezbusse einzurichten. Wir prüfen gemeinsam mit dem Berliner Taxigewerbe den Einsatz von Ruftaxis.“ Das klingt vordergründig einerseits nach der Fortsetzung des umweltschädlichen Aus-dem-Boden-Stampfens von neuen Fahrzeugflotten wie für den umstrittenen, Experimentierklausel-basierten „Berlkönig“ oder den überraschend wenig genutzten Nachfolger „Rufbus“, andererseits nach tatsächlichen Überlegungen, einen sinnvollen Wechsel in Richtung Einbeziehung der – bereits vorhandenen und unterausgelasteten – Taxiflotte zu vollziehen. Vielleicht winken damit sogar Regionalisierungsmittel.
Bemerkenswert, wenn auch vage, ist ein Satz, der die vom Taxigewerbe bundesweit geäußerte und auf Kommunen bezogene Kritik an der mangelnden Nutzung der Möglichkeiten aufgreift, die das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) seit anderthalb Jahren zum Schutz vor Uber & Co. bietet: „Die Koalition wird den Gestaltungsspielraum für das Taxigewerbe nach dem Personenbeförderungsgesetz zum Schutz der Beschäftigten ausschöpfen und klare Regelungen für alle Verkehrsformen und Geschäftsmodelle im öffentlichen Verkehr vorgeben.“ Das klang bei Regine Günther vor knapp zwei Jahren schon vielversprechender, wenngleich wenig daraus wurde. Wenn der künftige Senat es mit dem Schutz des Taxigewerbes vor unlauterer Konkurrenz ernst meint, muss er einen Mindesttarif für Mietwagen einführen, auch wenn Uber & Co. mit allen Mitteln – wie neuerdings teuren Gutachten zur Verunsicherung von Behörden – dagegen kämpfen.
Im Kapitel „Arbeit“ heißt es immerhin: „Für jede Taxi- und Mietwagenkonzession sollen die Unternehmen die rechtskonforme Erfassung der Arbeitszeiten und die entsprechenden Lohnzahlungen nachweisen. Wir orientieren uns dabei an dem in Hamburg praktizierten Modell.“
Noch weniger entschlossen im Vergleich zu früherer Kritik klingt die Aussage zu Schönefeld: „In Verhandlungen mit dem Landkreis Dahme-Spreewald werden wir uns für ein Laderecht aller Berliner Taxen am Flughafen BER einsetzen.“ Hier könnte – gemessen an der Erwartungshaltung – die Enttäuschung im Taxigewerbe groß sein, hat die CDU doch die bisherige Vereinbarung der vorletzten Senatorin Regine Günther geradezu „um die Ohren gehauen.“ Man wird sehr genau hinsehen, ob die CDU hier hält, was sie versprochen hat.
Zum Thema E-Mobilität interessant: „Wir wollen die Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge ausbauen und beschleunigen. Dabei haben wir auch die Außenbezirke im Blick. Unser Ziel ist es, durchschnittlich 2.000 Ladepunkte pro Jahr zu errichten. Das bestehende Förderprogramm wollen wir ausbauen.“ Ob dies der angestrebten Elektrifizierungsgeschwindigkeit der Fahrzeugflotte auf Berlins Straßen genügt?
Konkrete Verkehrsprojekte werden im Koalitionspapier so gut wie gar nicht thematisiert: Vor der Eröffnung des A-100-Abschnitts nach Alt-Treptow soll noch schnell ein Verkehrskonzept für die Umgebung her, um „negative Auswirkungen“ zu minimieren. Vom nächsten Bauabschnitt nach Lichtenberg bzw. Prenzlauer Berg ist nicht die Rede. Die Schließung der TVO-Lücke soll in dieser Legislaturperiode beginnen.
Zum Thema Inklusionstaxi findet sich in dem Papier nur ein einziger Satz. Im Kapitel „Inklusion“ heißt es: „Das Förderprogramm für Inklusionstaxis wird fortgesetzt, das Taxibudget hierzu angepasst.“
Auch Personalien werden nach und nach bekanntgegeben. Favoritin für das Amt der Verkehrssenatorin ist laut Medienberichten die Juristin Dr. Manja Schreiner aus Pankow, derzeit eine der vier stellvertretenden Berliner CDU-Vorsitzenden und Hauptgeschäftsführerin der Fachgemeinschaft Bau Berlin und Brandenburg. Sie wird am 29. April 45 Jahre alt und hat vielfältige berufliche wie politische Erfahrung, unter anderem im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments und in der Außenhandelskammer Bangkok. Ihr Fachgebiet neben dem Wirtschafts-, Gesellschafts- und Arbeitsrecht ist die Bauwirtschaft.
Insgesamt fällt auf, dass das Papier deutlich versöhnlicher und weniger gegen die bisherige Verkehrspolitik gerichtet formuliert ist. Wohlwollend kann man das als tatsächliches Bestreben interpretieren, die gespaltene Öffentlichkeit wieder zu einen und wieder alle „abzuholen“ – was man den Vorgängersenaten teilweise abspricht. Man kann andererseits kritisieren, dass das Papier an vielen Stellen weniger ambitioniert klingt als der Wahlkampf erwarten ließ, an vielen Stellen vage formuliert („…setzen wir uns für eine gerechtere Verteilung der Verkehrsflächen ein“) und zudem bei heißen Eisen die Konfrontation zu scheuen scheint. Ist das Schweigen zum Weiterbau der A 100 nach Lichtenberg der Versuch, die Wogen vorerst glatt zu halten, oder betrachtet man die Verlängerung als durchgewinktes und bezahltes Projekt mit Bundeszuständigkeit als besiegelt? Im bisherigen Senat war man offiziell noch dagegen, auch wenn es fraglich erscheint, ob hinter dieser Haltung tatsächlich eine Mehrheit der Sozialdemokraten stand. Was Straßenverkehrsprojekte betrifft, ist das Papier enttäuschend.
Doch hätte ein noch stärkeres Umschwenken der SPD, auch wenn sie die von den Wählern am deutlichsten abgestrafte Partei ist, unglaubwürdig erscheinen können. Zwar hatte sie in den letzten zwei Koalitionen viele Kröten schlucken müssen wie etwa die von Grünen mit Zustimmung der Linken durchgesetzte Schließung des Flughafens Tegel oder eben das Stillhalten gegenüber der Verkehrspolitik, deren Nachteile für den privaten Autoverkehr vielen Sozis erheblich zu weit ging. Doch hat auch die Berliner SPD sich wie die Mehnheit der etablierten Parteien in Bund und Ländern in letzter Zeit merklich nach links bewegt. Die Koalition mit der CDU stellt auch die noch amtierende Senatschefin Franziska Giffey, die einst Neuköllner Bezirksbürgermeisterin und später Bundesfamilienministerin war und nun möglicherweise Bausenatorin wird, vor die eine oder andere Zerreißprobe.
Mit der Forderung nach dem Verkehrsressort will die CDU möglicherweise sicherstellen, dass der Kurswechsel weg von der bisherigen Linie deutlich genug ausfällt. Man kann allerdings kritisieren, dass vieles im Koalitionspapier verglichen mit früheren Äußerungen geradezu müde klingt. Ein Festhalten an überkommenen Autofahrerträumen kann man der einstigen „Windschutzscheiben-Partei“ aber nicht mehr vorwerfen: Den wohl fortschrittlichsten Teil der grünen Verkehrspolitik der letzten sechs Jahre, auf den man bei anderen Parteien vermutlich lange hätte warten können, den überfälligen Ausbau des Straßenbahnnetzes, der einen entscheidenden Teil der Verbesserung des ÖPNV darstellt und einen nennenswerten Anreiz zum Umstieg vom Privat-Pkw auf den Linienverkehr bieten kann, setzt der künftige Senat fort. Das soll nur eben nicht ideologisch überhöht und ohne Rücksicht auf Verluste (z. B. von Fahrspuren) geschehen, wie Kritiker es Jarasch vorwerfen, sondern maßvoll und mehr mit- als gegeneinander, wie die CDU es immer gefordert hat. Nun muss sie ihren Worten sehr schnell Taten folgen lassen, wenn sie nicht ihrerseits in drei Jahren von den Wählern abgestraft werden will.
Das Taxigewerbe darf sich über einiges, was angekündigt worden ist, vorsichtig freuen. Dazu zählt neben der eventuellen Einbindung des Taxis in künftige ÖPNV-Ergänzungsprojekte auch der Ausbau des Straßenbahnnetzes. Ein Straßenbahnzug ersetzt 20 bis 40 Pkw. Mehr Straßenbahnstrecken machen nicht nur mittelfristig die Straßen leerer, sondern gehen auch mit der Stadtentwicklung Hand in Hand. Wo die Stadt sich entwickelt, kehrt gesellschaftliches Leben ein, woraus Mobilitätsbedarf resultiert. Dazu zählt unter anderem eine Nachfrage nach Taxifahrten: In Stadtteilen mit dichtem ÖPNV-Liniennetz gibt es auch mehr Taxiaufträge als in Gatow, Rahnsdorf, Heiligensee oder Blankenburg. ar
Beitragsbild: Titelseite des Koalitionsvertrages vom 2.4.2023 von CDU und SPD in Berlin
Auf Hauptstraßen sollen 50 km/h gelten und auf Nebenstraßen 30 km/h? Im Moment sieht es ja in weiten Teilen umgekehrt aus. Ich freue mich schon darauf, bald wieder mit 50 km/h vom Innsbrucker Platz bis zum Alex fahren zu können! 😃